Zahl der Betriebsräte fällt auf historischen Tiefstand

In nur noch in sieben Prozent der Betriebe in Deutschland gibt es einen Betriebsrat, das ist der bisherige Tiefpunkt. Knapp jeder dritte Beschäftigte in der Privatwirtschaft wird von einem Betriebsrat vertreten. Das zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), die WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt. Zum Vergleich: 1996 waren es mit 49 Prozent noch knapp die Hälfte der Beschäftigten. Generell zeigt sich: Je kleiner ein Unternehmen, desto seltener gibt es einen Betriebsrat.

„Diese Erkenntnis muss uns als Gewerkschaft und Gesellschaft tief besorgen“, sagt IG Metall-Chefin Christiane Benner. „Die Politik sollte ein sehr großes Interesse daran haben, Betriebsräte deutlich zu stärken.“ Bisherige Bemühungen hätten offenkundig nicht ausgereicht, um der „Erosion der Mitbestimmung entgegenzuwirken“. Benner fordert daher einen verbesserten Kündigungsschutz von Wahlinitiatoren sowie präventiv wirksame Strafverfolgung im Fall einer Behinderung von Betriebsratswahlen.

Auch Verdi-Vorstandsmitglied Christoph Meister nennt die jüngsten Vorstöße der Politik „im besten Falle halbherzig“. Er warnt vor der Beeinflussung von Betriebsratswahlen durch Arbeitgeber. „Beschäftigte erleben das Vorgehen darauf spezialisierter Anwaltskanzleien oft als reines Mobbing“, sagt Meister und verweist auf eine Erhebung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wonach versucht wird, jede fünfte Erstwahl eines Betriebsrates zu verhindern. Meister fordert, die Arbeitgeberverbände müssten „schwarze Schafe in ihren Reihen endlich ächten“.

Auch Dennis Radtke (CDU) sieht „die Arbeitgeber klar in der Verantwortung“ und warnt vor Verhinderungskampagnen. „Ich denke da zum Beispiel an Amazon, wo mit Kündigungsdrohungen und Einschüchterung alles darangesetzt wurde, die Gründung eines Betriebsrats zu stoppen“, so der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).

„Ohne Betriebsräte gibt es keine guten Pausen- oder Arbeitszeitregelungen, der Arbeitsschutz leidet und die Beschäftigten ziehen bei Sozialplänen den Kürzeren.“ Ein weiterer Grund für den Rückgang ist Radtke zufolge die stark gesunkene Tarifbindung. Lag diese laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2000 noch bei 70 Prozent, sind es mittlerweile nur noch 51 Prozent.

„Keine Regierungspartei hat bisher ein wirksames Konzept zur Beförderung von Betriebsratsneugründungen gehabt“, kritisiert Susanne Ferschl, sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei. Die Zunahme prekärer Beschäftigung, die durch die letzten Bundesregierungen befördert worden sei, habe die Entwicklung von betrieblicher Mitbestimmung nachhaltig gestört.

Für Menschen in Leiharbeit, befristet Angestellte oder Minijobber sei es viel schwieriger, sich in einem Betriebsrat zu engagieren. „Diese Beschäftigungsformen nehmen aber vor allem im boomenden Dienstleistungssektor rapide zu“, so Ferschl.

„Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes haben wir dafür gesorgt, dass die Bezahlung von Betriebsräten rechtssicher geregelt wird“, wirft Martin Rosemann, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD, ein. Klar sei, dass es trotzdem noch viel zu tun gebe.

„Die Ampel wollte wesentliche Veränderungen vornehmen und die betriebliche Mitbestimmung stärken“, sagt Frank Bsirske (Grüne). Bevor es dazu kam, zerbrach die Regierung jedoch. Bsirske, früher selbst Vorsitzender von Verdi, sieht zudem das Erstarken des Dienstleistungssektors, der durch kleinere Betriebe geprägt ist, sowie die abnehmende Bedeutung der Gewerkschaften generell als Ursache für den Rückgang.

Aufseiten der Arbeitgeber beurteilt man die Entwicklung anders. Die Bestrebungen der Politik für mehr Betriebsräte hätten „in erster Linie zu neuen bürokratischen Vorschriften geführt, auf die Beschäftigte keine Lust haben“, sagt Steffen Kampeter, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes (BDA). „Das Betriebsverfassungsgesetz ist bürokratisch und veraltet“, so Kampeter. „Alternative Beteiligungsformen wie etwa Mitarbeitervertretungen bieten einfachere und zeitgemäßere Möglichkeiten, sich in Betrieben einzubringen“. Auch ohne Betriebsrat gebe es Mitwirkungsmöglichkeiten. „Es kommt auf einen guten Draht der Beschäftigten zum Arbeitgeber an.“

„Betriebsratsgründungen erfolgen häufig in stürmischen, unter Umständen konfliktgeladenen Zeiten“, sagt IW-Ökonom Oliver Stettes. Dennoch sind von den Arbeitnehmern, die sich einen Betriebsrat wünschen, zwei Drittel mit ihrer Arbeit zufrieden. Unter Beschäftigten ohne einen solchen Wunsch sind es allerdings sogar neun von zehn.

„Wenn die Politik die stärkere Verbreitung von Betriebsräten effektiv fördern möchte, muss die Attraktivität der betrieblichen Mitbestimmung auch für die Arbeitgeberseite steigen“, sagt Stettes. Beispielsweise müssten die Kosten der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes sinken.

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen. Den zugehörigen Newsletter können Sie hier abonnieren.

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