X markiert die Wahrheit

Die in Techkreisen bekannte Journalistin Kara
Swisher hat kürzlich in ihrem Podcast über Desinformation auf X gesprochen. Zwischenzeitlich,
könnte man meinen, ging es ihr dabei nicht mehr um eine Social-Media-Plattform,
sondern um einen Reaktorunfall. Giftmüll gebe es da seit Elon Musk das Ding gekauft hat. Swishers Gesprächspartner war
Bill Gates. Der Mann, der sonst für alle großen Menschheitsprobleme – Klimawandel,
Pandemien – eine Lösung parat hat. Aber die Verbreitung von Falschinformationen
macht Gates ratlos. Da habe seine Generation wohl versagt, sagte er.

Es ist ja auch vertrackt. Wer soll endgültig entscheiden, ob
eine Nachricht wahr oder falsch ist? Wer soll beurteilen, ob eine
Falschinformation ein einfacher Irrtum ist oder eine manipulative Täuschung?
Und wenn man an den US-Wahlkampf denkt: Woher soll man wissen, welche
Behauptungen auf X tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie sind? 

X-Inhaber Elon Musk hat für dieses Problem einen
Lösungsansatz entwickelt: Keine zentrale Instanz – ob nun der Staat oder ein
Techkonzern – soll entscheiden, was Desinformation ist, sondern die Nutzer
selbst. Angeblich war das Musks Motivation, Twitter zu kaufen: Er wollte dessen
Nutzer dazu ermächtigen, selbst zu bestimmen, welche Informationen auf der
Plattform eine Berichtigung brauchen. Community Notes heißt dieses
Werkzeug, gemeinschaftliche Anmerkungen.

Leider zieht Musk diese eigentlich gute Idee in den Dreck.
Der Milliardär machte bis zur letzten Sekunde Wahlkampf für Donald Trump,
verbreitete Behauptungen über angebliche Wahlmanipulation und nutzte seine
Plattform für Propaganda. Außerdem scheint X Forderungen nach Zensur
nachzukommen, solange sie von eher rechtsautoritär regierten Staaten wie der
Türkei kommen. Er ist in solchen Fragen also parteiisch. Das ist schade, denn die
Community Notes sind ein überraschend effektives Werkzeug, um
Falschinformationen zu filtern. Sie können als Alternative für Kontrollmechanismen
von oben begriffen werden, die zum Beispiel die Europäische Union fordert. Ähnlich
wie bei Wikipedia soll die Gemeinschaft Fakten überprüfen, Kontrolle von unten
also. Die Frage ist nur: Reicht das überhaupt?

Wenn X tatsächlich der Atomunfall der Informationswelt ist, kommen
dann Community Notes nicht lediglich ein paar Warnschildern gleich, die vor
tödlicher Strahlung warnen und für deren Aufstellung die Bewohner des
Katastrophengebiets auch noch selbst zuständig sind?

Community Notes wurden bereits vor der Muskschen Ära bei
Twitter entwickelt. Die Idee: Nutzer schreiben Anmerkungen zu Tweets und
bewerten die Anmerkungen anderer Nutzer. Was genug Zustimmung bekommt,
erscheint als Hinweis für alle Nutzer unter dem Tweet. Als zum Beispiel
Markus Söder das Atomkraftende als verirrte Ampelpolitik beklagte, wiesen
Community Notes darauf hin, dass Söder 2011 noch mit dem Rücktritt gedroht
hatte, falls der Atomausstieg nicht vorgezogen werde.

Der Clou ist nun, dass nicht, wie auf Social Media üblich, der
Kommentar nach oben kommt, der am meisten Reaktion hervorruft, also polarisiert
oder einfach nur Applaus aus dem eigenen Lager bekommt. Die Community Notes
nutzen stattdessen einen sogenannten Bridging-basierten Algorithmus: Nutzer,
die bereits einmal bei einer Anmerkung uneinig waren, später aber bei einem
anderen Tweet einer Meinung sind, fallen mit ihrem Urteil stärker ins Gewicht.
Zwei Nutzer könnten sich beispielsweise bei einer Anmerkung über das Risiko
eines Atomkraftwerks in den Haaren liegen – wenn sie sich aber einig sind, dass
Söder für den Atomausstieg mitverantwortlich ist, dann zählt dieser Konsens
besonders viel.

Eine äußerst sinnvolle Regelung, schließlich ist, was als
Fakt und was als Desinformation gelten darf, politisch extrem umkämpft. In den
USA sieht man auf republikanischer Seite die Bekämpfung von Desinformationen
oft als Versuch, die Meinungsfreiheit auszuhebeln, und als ersten Schritt
Richtung eines Orwellschen Wahrheitsministeriums. Demokraten wiederum sorgen
sich um die Vergiftung des politischen Diskurses: Wenn Teile der Gesellschaft
ihre Nachrichten nur noch aus dubiosen Online-Quellen bekämen, seien sie leicht
manipulierbar.

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