Es gibt Berufe, die gibt es eigentlich nicht. Berufe, die so
wunderschön sind, dass sie im Reich der Fantasie besser aufgehoben wären als
in der langweiligen Realität. Astronaut ist so ein Beruf. Oder Löwenbändiger.
Oder Tiefseetaucher. Oder Pantomime. Allesamt echte Tätigkeiten, ausgeübt von
echten Menschen. Nur will es mir einfach nicht in den Kopf, wie diese
Berufsfelder in derselben Welt existieren können, in der es auch
Jahresbruttogehälter, Berufsgenossenschaften und Profitcenter gibt. Oder Subventionsbetrug,
Dieselskandal und – Stellwerkstörungen.
Kinder scheinen damit weniger zu
hadern. Für sie existieren Berufe jenseits von Ausbildungen, Abschlüssen und
Arbeitsplätzen. Sie unterscheiden auch nicht zwischen Arbeitern und
Angestellten. Wichtig ist vielmehr die Arbeitskleidung, die die Angehörigen mit
ihren Berufen verbindet. Schornsteinfeger zum Beispiel. Oder Polizistinnen,
Tierärztinnen oder Cowboys. Oder Lokführer und Schaffnerinnen. Kinder sind es
auch, die in schönst möglicher Verkennung der gesellschaftlichen Realität, die
Frauen und Männer von der Stadtreinigung für ihre Arbeit bejubeln, als wären
sie Prominente, die für einen kurzen Auftritt in die Stadt gekommen sind.
In meiner Heimat bin ich mit
einem Beruf aufgewachsen, von dem ich gar nicht wusste, dass es ihn eigentlich
nicht gibt.
Die Schönheit der Schwebebahn
Ich bin in Wuppertal groß
geworden. Als ich noch im Grundschulalter war, sind meine Eltern von
Heckinghausen nach Vohwinkel gezogen, wodurch sich mein Schulweg von 650 Meter
auf 16,7 Kilometer verlängerte. Offensichtlich kein Problem für meine
unbesorgten Eltern. Es gab ja die Schwebebahn, die mich sicher und schnell in
die Schule und zurück nach Hause brachte.
In den alten Schwebebahnen war
die Fahrerkabine noch offen. Die einzige Abtrennung zum Fahrgastbereich bestand
aus einem Schild, auf dem „Während der Fahrt bitte nicht den Fahrer ansprechen“
stand. Ich hielt mich nicht dran. Zu jeder Fahrt ging ich also nach vorn und
quatschte die Fahrer mit meinem Kinderkram voll. Ich erinnere
mich nicht daran, dass sie jemals irritiert oder unwirsch reagiert hätten, im
Gegenteil.
Je länger ich mit der Schwebebahn
fuhr, umso mehr festigte sich in mir das Gefühl, dass ich wertvolle Kompetenzen
und Fähigkeiten mitbrachte, die in meiner Eigenschaft als Fahrgast vollkommen
verschwendet wurden. Sollte jemals einer der Schwebebahnfahrer in Ohnmacht
fallen, so sagte ich mir im Geheimen, würde ich die Bürde auf mich nehmen und
die Fahrt zu Ende fahren. Bis dahin wollte ich mir in Gesprächen mit den
Fahrern die notwendige Expertise aneignen.
Eines Tages, als mein Vater mit
mir mitfuhr, wunderte er sich über meinen forschen Gang in Richtung
Fahrerkabine. Als er sah, was ich vorhatte, zog er mich am Schlafittchen
zurück, deutete auf das Ansprechen-Verboten-Schild und wies mich an, die Fahrt
schweigend fortzusetzen. Ich hielt mich dran. Es bedeutete gleichzeitig das
jähe Ende meiner ehrenamtlichen Ersatz-Schwebebahnfahrer-Karriere.
Ein Beruf, den es eigentlich nicht gibt
Erst als ich älter wurde, bemerkte ich, dass Schwebebahnfahrer einer dieser Berufe ist, die es eigentlich nicht gibt. Ähnlich wie der Nachbarberuf des Lokomotivführers. Den Abgesängen auf die Deutsche Bahn kann ich nicht viel abgewinnen. Genauso wenig der Litanei über
vermeintlich unfreundliche Zugbegleiter. Zum einen sind meine Erfahrungen mit der Deutschen Bahn
gänzlich andere als die vielen kolportierten Berichte meiner
Journalisten-Kollegen. Zum anderen stelle ich im Umgang mit dem Zugpersonal
fest, wie freundlich und engagiert diese Leute mit ihren Fahrgästen umgehen.