„Wir sind der erste Punkt der Zivilisation an der Front“

ZEIT ONLINE: Herr Smelyansky, in den Filialen nahe der Front herrscht viel Betrieb, was machen die Menschen hier? 

Ihor Smelyansky: Natürlich geben sie zuerst einmal Briefe und Pakete auf. Und dieser Service funktioniert sehr gut. Aber hier in Pokrowsk sind zurzeit fast alle Banken, Apotheken und Geschäfte geschlossen. Über uns bekommen die Menschen hier Lebensmittel, Medikamente und Zeitungen oder Powerbanks. Und sie holen sich ihre Rente und Sozialleistungen ab – in bar, denn ohne Stromversorgung funktionieren auch Zahlungsterminals nicht.  

ZEIT ONLINE: Auch viele Soldaten sind da. Was benötigen sie?

Smelyansky: Oft ist es Material für die Front, etwa Druckteile für Drohnen. Die bestellen die Soldaten direkt aus den Schützengräben und holen sie dann ab.

ZEIT ONLINE: Wie versorgen Sie Ihre Mitarbeiter in den Frontgebieten?

Smelyansky: Wir ermöglichen unseren Mitarbeitern, komplett unabhängig zu sein: Sie bekommen von uns eigene Heizgeräte, Generatoren und Sicherheitswesten. Außerdem haben wir zusätzlich zu den Standorten in den Städten schon vor dem Jahr 2022 unsere mobilen Postfilialen eingeführt. Heute sind es rund 2.000. Und dieses Projekt war entscheidend für die Kriegsvorbereitung. Wenn die Russen heute schießen, gehen wir morgen.

ZEIT ONLINE: Wie funktioniert so eine mobile Filiale im Kriegsgebiet?

Smelyansky: In diesen Gegenden gibt es oft Probleme mit dem Mobilfunknetz. Also haben wir sie mit einem Zugang zu einem Starlink-Router und einem Generator ausgestattet. Morgens werden die Daten heruntergeladen. Dann können die Mitarbeiter im Offlinemodus arbeiten und nachts alles synchronisieren.

ZEIT ONLINE: Woher wissen Sie, welche Routen für die Postautos sicher sind?  

Smelyansky: Wir stimmen uns ständig mit den Streitkräften ab. Aber es ist nicht einfach. Es gibt Kollaborateure in der Bevölkerung, sie bekommen Geld von Russland, wenn sie die Koordinaten unserer Postautos weitergeben. Als Vorsichtsmaßnahme wechseln wir häufig die Routen, nutzen verschiedene Informationsquellen und entscheiden jeden Tag neu. Seit Beginn des Kriegs haben wir „nur“ drei Menschen im Dienst verloren – auch wenn natürlich jeder Fall tragisch ist, denn jedes Leben ist wertvoll.

ZEIT ONLINE: Wie genau schützen Sie die Fahrer?   

Smelyansky: Unsere Fahrer sind in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs, einige von ihnen haben Drohnenabwehrsysteme, aber das ist noch ein Pilotprojekt. In den vergangenen Monaten haben wir bereits mit Drohnenerkennungssystemen gearbeitet. Das funktioniert einigermaßen. 

ZEIT ONLINE: Was ändert sich für die Post, wenn die Front näher rückt?  

Smelyansky: Als die russischen Angriffe ihren Höhepunkt erreichten, mussten wir zusätzliche Lastwagen bestellen. Es waren mehrere 20-Tonner jeden Tag unterwegs. Wenn die Front sich nähert, steigt das Auftragsvolumen, weil die Menschen mit unserer Hilfe fliehen. Sie schicken Pakete in die Orte, in die sie ziehen wollen.