DIE ZEIT: Russland und die USA haben sich in Riad zu Gesprächen getroffen. Hat Donald Trump Wladimir Putin einen Sieg geschenkt?
Gabrielius Landsbergis: Absolut. Putin hat schon einige Siege eingefahren: Er hat dafür gesorgt, dass die Nato von Beginn des Krieges an nicht involviert wird, als Selenskyj darum bat, den Luftraum über der Ukraine zu schließen. Putins zweiter Sieg: Er drohte mit der nuklearen Eskalation, wir glaubten ihm und verlangsamten unsere Hilfe für die Ukraine. Sein dritter Sieg: der Schattenkrieg, den Russland gegen uns führt. Kabel in der Ostsee werden durchgeschnitten, Sprengsätze in Flugzeugen platziert. Wir diskutieren, wie wir reagieren sollen – er handelt.
ZEIT: Was bedeutet nun Trumps Vorstoß?
Landsbergis: Die Amerikaner wollen Neuwahlen in der Ukraine, Anerkennung der besetzten Gebiete, keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine. Was bleibt, sind Sanktionen. Werden die aufgehoben, dann ist das ein weiterer Sieg für Putin. Und schließlich: Sollte Trump sich darauf einlassen, seine Truppen aus Europa zurückzuziehen, dann wäre das ein gewaltiger Sieg Russlands. 7:0 für Putin.
ZEIT: Was heißt das für die Zukunft der Ukraine?
Landsbergis: Ich möchte nicht zu düster klingen …
ZEIT: Das wäre schön.
Landsbergis: Unsere einzige Hoffnung ist Europa. Dass es eine Lösung vorschlägt, die die Situation in der Ukraine stabilisiert. Aber wenn ich mir das Ergebnis des Gipfels in Paris anschaue, bin ich unsicher. Sollten Neuwahlen in der Ukraine kommen, dann muss das Land sein Kriegsrecht aufheben. Es muss die Grenzen öffnen, und sehr viele Menschen würden ausreisen. Es würde das Land destabilisieren. Das wäre eine sehr düstere Zukunft für das Land.
ZEIT: Hätten die Europäer diese Entwicklung verhindern können?
Landsbergis: Ich denke schon.
ZEIT: Wie?
Landsbergis: Wir Europäer haben die Schwere der Situation nie akzeptiert. Ich habe so oft bei Gipfeln und Treffen gesagt: Bitte versteht doch, was in der Ukraine geschieht! Es wird Europas Zukunft bestimmen! Aber das war vielen zu dramatisch.
ZEIT: Und jetzt?
Landsbergis: Die Amerikaner werden den Ukrainern einen Deal mit den Russen vorschlagen. Sollten die Ukrainer ablehnen, weil das Angebot für sie untragbar ist, dann werden die Amerikaner sagen: Ihr seid ein souveränes Land, es ist eure Entscheidung. Aber wir können euch dann nicht mehr helfen. Danach werden die Ukrainer sich an die Europäer wenden mit der Bitte um Unterstützung. Sie brauchen Milliarden, Munition, die bei dieser Kampfintensität nur noch für einige Monate ausreicht. Europa hat das alles nicht. Stattdessen verstricken wir uns in endlose Diskussionen.
ZEIT: Sie waren als Außenminister bei vielen Gipfeln und Verhandlungen dabei. Warum haben so viele die Brisanz der Lage nicht erkannt?
Landsbergis: Ein Teil Europas lebt in einer anderen Wirklichkeit. Für ihn ist das ein Regionalkonflikt, weit weg von ihnen. Und dann gibt es Länder wie Litauen und Polen, für die der Krieg vor der Tür stattfindet und die eine sofortige Reaktion verlangen. Es ist existenziell für sie. Deshalb überrascht es mich, dass beim Gipfel in Paris die Polen gegen Truppen in der Ukraine waren. Der Brite Keir Starmer erklärte, dass Großbritannien bereit sei, Truppen zu schicke. Er ging allein voran und sagte das, was alle Europäer sagen müssten.
ZEIT: Auch für Deutschland ist eine Truppenentsendung eine rote Linie.
Landsbergis: Es ist aber auch eine rote Linie für Russland.
ZEIT: Haben die Europäer jetzt verstanden, in was für einer historischen Situation sie sich befinden?
Landsbergis: Alle, mit denen ich auf der Münchner Sicherheitskonferenz sprach, sagen, dass Europa nun aufwachen müsse. Sie verstehen, was auf dem Spiel steht. Aber wenn man dann darüber spricht, die Ukraine so schnell wie möglich in die EU aufzunehmen, um das Land wirtschaftlich, finanziell und politisch zu stabilisieren, dann heißt es: Unsere Bauern machen das nicht mit. Was soll ich darauf erwidern? Es ist ein Argument aus einer anderen Wirklichkeit.
ZEIT: Was können die Europäer tun?
Landsbergis: Am einfachsten wäre es, Geld zu geben. 190 Milliarden Euro liegen als eingefrorene russische Vermögenswerte in Brüssel. Es ist eine politische Entscheidung, sie nicht aufzutauen. Es wäre rechtens. Man kann auch Geld leihen, so wie viele Länder es während der Pandemie getan haben. Und wir müssen über Truppen sprechen. Ich kann mir kaum eine Situation vorstellen, die es nicht notwendig machte, Truppen in die Ukraine zu schicken.