Liebe Bahn, 75 Jahre gibt es dich jetzt. Dazu gratulieren wir herzlich!

Ja, wir wissen: Wir sind einen Tag zu spät. Eigentlich war der große Tag schon gestern, am Samstag. Aber wir können’s erklären, gerne auch im Bahn-Blabla: „Die Glückwünsche verspäten sich um etwa einen Tag. Grund dafür ist eine Änderung im Betriebsablauf. Wir bitten um Verständnis.“

Mit anderen Worten: Der Erscheinungstag von BILD am SONNTAG, wo dieser Gruß abgedruckt ist, ist schuld.

Aber wir wissen uns in bester Gesellschaft. Schließlich tönte die Verspätungsansage die vergangenen Monate ganz ähnlich tausendfach durch die Züge im Land. Nur rund 60 Prozent der Bahnen rollten im August pünktlich in die Bahnhöfe ein. Das erfuhr BamS exklusiv. Ein weiterer Tiefpunkt. Im Juli waren es immerhin noch zwei Prozent mehr.

Auf manchen Strecken (z. B. Hamburg-Dortmund-München) schafft es sogar nur noch die Hälfte der Züge der Deutschen Bahn rechtzeitig ins Ziel. Durchschnittliche Verspätung: 16 Minuten.

Zwei bis drei Millionen Fahrplanänderungen

Pünktlichkeit und Bahn – das will einfach nicht zusammenkommen. Seit 2012, als die Verspätungsquote bei 79 Prozent lag, geht’s mit der Zuverlässigkeit zuverlässig nach unten. Mitte August sprach ein Bahn-Aufsichtsratsmitglied von „Kontrollverlust“. Fahrpläne würden nicht mehr gerechnet, „sondern nur noch geschätzt“. Die Abfahrtszeiten hätten alleine in diesem Jahr zwischen zwei und drei Millionen Mal geändert werden müssen.

Liebe Bahn, 75 Jahre machen sich bemerkbar. Auf deinem wackeligen Gleisbett sollst du die Verkehrswende mit stemmen. Dabei knarzt und knirscht es überall. Signale wollen nicht mehr blinken, Weichen nicht mehr gehorchen. Bahn-Burnout im Bahnland.

Vor fast 200 Jahren fing alles an mit der Bahn

Dabei hatte es so gut angefangen: 1835 wird mit sechs Kilometern Schiene zwischen Nürnberg und Fürth das Zug-Zeitalter in Deutschland eingeläutet. In der Weimarer Republik wird die Deutsche Reichsbahn gegründet – die Hitler später für seinen millionenfachen Massenmord an den Juden missbraucht. Nach dem Krieg rollen Ost und West getrennt. 1949 gründet sich in der Bundesrepublik die Deutsche Bundesbahn, die 1994 mit der DDR-Reichsbahn zur Bahn AG gekoppelt wird.

Die Hoffnung im neuen Jahrtausend: Die Börse soll Milliarden für die Sanierung abwerfen. Allerdings verpufft der Traum des wohl bekanntesten Bahnchefs aller Zeiten (Hartmut Mehdorn) in der Finanzkrise 2008.

Freie Bahn für den ICE – planmäßig ab Dezember 2024

Jetzt heißt es: Not-OP am offenen Herzen! Während Deutschland pendelt und reist, wird mittendrin geschnippelt. 75 Prozent der Fernverkehrszüge werden auf ihrem Weg durch Deutschland derzeit mindestens von einer Baustelle ausgebremst. Die wichtigste: die Riedbahn. Seit Juli wird hier gewerkelt. Die Hoffnung: Wenn im Dezember alles fertig ist, rollt’s spürbar besser im Bahnland. Überraschend: Aktuell läuft es nach Plan!

Und, liebe Bahn, das ist nicht die einzige gute Nachricht: Seit 33 Jahren schon düst der ICE durchs Land, über 400 von ihm gibt es. 2006, als es noch kein iPhone gab, präsentiertest du schon das Handy-Ticket. Dein DB Navigator wurde 75 Millionen Mal heruntergeladen.

Trotzdem wenig in Feierlaune: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (54, FDP). Der Bahn-Minister zu BILD: „Die Bahn steht zu ihrem Jubiläum vor historischen Herausforderungen. In der Vergangenheit wurde viel zu wenig getan, um sie erfolgreich in das 21. Jahrhundert zu führen.“ Der Bund habe die Weichen gestellt und sei mit enormen finanziellen Mitteln in Vorleistung getreten. „Außerdem haben wir sehr präzise Forderungen für die strukturelle und betriebliche Sanierung an den Bahnvorstand gerichtet und erwarten jetzt eine schnelle, engagierte Umsetzung.“

Und die Bahn selbst? Bahn-Chef Richard Lutz (60) sagt ein wenig stolz zu BILD: „75 Jahre nach Gründung der Bundesbahn – die Deutsche Bahn ist unverzichtbar für den Alltag der Menschen. Jetzt machen wir zusammen mit dem Bund einmal alles neu.“ Die Riedbahn-Baustelle sei der Auftakt zu einem „leistungsfähigen Schienennetz“.

Na, dann, liebe Bahn: Auf die nächsten 75 Jahre. Und darauf, dass wir den 150. Geburtstag pünktlich feiern können!