Der Anschein der Normalität soll gewahrt werden. Olaf Scholz hat frühzeitig versucht, den Ton zu setzen, unaufgeregt und nüchtern, wie man es vom Kanzler kennt: Die Beziehungen zu den USA ruhten auf einem festen „Fundament“ und würden „noch lange tragen“. Er selbst habe mit dem künftigen US-Präsidenten schon zweimal telefoniert, betonte Scholz. Und das „waren ausgesprochen freundliche Gespräche“.
Auch Außenministerin Annalena Baerbock mahnte, Deutschland und Europa dürften sich „nicht kirre machen lassen“. Die Botschaft: Die Welt geht nicht unter, nur weil am Montag im Weißen Haus ein neuer, höchst umstrittener Machthaber einzieht.
Immerhin: Trumps Leute hören zu
Alles halb so wild also? Tatsächlich stehen die beschwichtigenden Worte im Kontrast zu der alarmierten Stimmung, die viele deutsche Politiker seit Trumps Wahlsieg im November erfasst hat. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth warnt im Gespräch mit ZEIT ONLINE: „Wir dürfen uns Trump nicht schönreden.“ Seine Politik sei „eine ernste Gefahr für die liberale Demokratie und das vereinte Europa“. Auch andere Außenpolitiker räumen ein: Die transatlantischen Beziehungen stehen vor ihrer bisher härtesten Belastungsprobe.
In Trumps zweiter Amtszeit könnte der wichtigste Verbündete der Deutschen und Europäer, die USA, zum Widersacher werden. Einer, der seine langjährigen Partner verspottet, sie mit Handelszöllen bekämpft und droht, die Grundlagen gemeinsamen Handelns aufzukündigen. Die Unterstützung der Ukraine, die Nato als solche oder das Pariser Klimaabkommen – all das könnte Trump zur Disposition stellen. Und die Bundesrepublik würde sich jeweils dazu verhalten müssen.
Für den Moment ist der deutschen Regierung daran gelegen, Trump nicht unnötig zu provozieren. „Man darf nicht über jedes Stöckchen springen“, warnt etwa der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Stattdessen müsse man gemeinsame Interessen betonen und ausloten, „wo man Trump packen kann“.
Widerspruch, wo Widerspruch geboten ist
Schließlich sei auch Trump auf Verbündete angewiesen, etwa in der Auseinandersetzung mit China oder in globalen Sicherheitsfragen. Um mit diesen Themen zu Trump durchzudringen, seien frühzeitig Kontakte zu dessen Umfeld aufgenommen worden, versichert Schmid. Und die erste Rückmeldung: Trumps Leute hörten zumindest zu.
Die Bundesregierung scheint sich daher auf eine Doppelstrategie verständigt zu haben: So viel Kooperation wie möglich, Widerspruch nur wenn nötig. Zum Beispiel wenn Trump die Unverletzlichkeit von Grenzen infrage stellt – ein zentrales Prinzip des Völkerrechts. Scholz hatte diese Gedankenspiele als erster europäischer Regierungschef öffentlich zurückgewiesen. In der SPD heißt es darüber hinaus, auch den direkten Aufforderungen an Deutschland, den Wehretat auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, müsse die deutsche Regierung eine Absage erteilen, heißt es.
Das „Leichtgewicht“ Scholz
Allerdings: Deutschland befindet sich gerade in einer Ausnahmesituation, im Wahlkampf. Und in wenigem ist sich vermutlich eine Mehrheit der Deutschen so einig, wie in der Ablehnung von Trump. Dass Politiker versuchen, daraus einen Vorteil zu ziehen, wäre zumindest nachvollziehbar. Viele erinnern in diesem Zusammenhang an Gerhard Schröder, der 2002 erfolgreich den Konflikt mit George W. Bush suchte.
Doch die Zeiten sind gefährlicher geworden. Auch ist Scholz nicht Schröder: Beide unterscheiden sich im Naturell stark. Schröder war laut und wich keinem Konflikt aus, Scholz ist ruhiger, technischer. Auch SPD-Generalsekretär Miersch sagt: „Es gibt heute keine historischen Vorbilder, weil die Welt sich weitergedreht hat.“ Um einem US-Präsidenten zu widersprechen – „dafür brauchte Olaf Scholz kein Vorbild“. Die SPD konzentriert sich in ihrer Kritik einstweilen lieber auf Elon Musk. Der reichste Mann der Welt und Wahlhelfer der AfD: Auf ihrem Parteitag war Musk ein Name, über den sich alle aufregen konnten.
In der Union laufen freilich längst die Planspiele für den Tag, da sie das Kanzleramt übernimmt. In aller Demut versteht sich, um nicht den Eindruck zu erwecken, man habe eh längst gewonnen. Es sei schlicht leichtsinnig, nicht jetzt schon an den Tag nach der Bundestagswahl zu denken. Im Umfeld von Friedrich Merz ist man überzeugt, man müsse der neuen Trump-Regierung aus einer „Position der Stärke“ begegnen. Und in dieser Hinsicht hält der Kanzlerkandidat den Amtsinhaber für einen Totalausfall: Trump werde Scholz „wie ein Leichtgewicht abtropfen lassen“, schimpfte der Oppositionsführer im November im Bundestag.
Der deutsche Oberlehrerduktus
Grundfalsch findet die Union den Umgang der Ampel mit Trump sowohl vor als auch nach dessen Wahl: Trumps Grönland-Avancen kanzelte Scholz in einem Pressestatement ab; „wenn man sich Kredit verspielen will, dann muss man es genau so machen“, kritisiert Merz.
„Olaf Scholz wird dort als gesehen“, sagt Fraktionsvize
Jens Spahn gegenüber ZEIT ONLINE über das Image des Kanzlers im Trump-Lager. Die Ampel habe „gegen deutsche
Interessen“ gehandelt, als sie sich im US-Wahlkampf auf eine Seite
geschlagen habe.
Die Union ist sicher: Ein Kanzler Merz dagegen, als gelernter Machtpolitiker, erfolgreicher Manager und intimer Kenner der USA – 170-mal sei er in die Vereinigten Staaten gereist –, werde von Trump eher respektiert.
Aber worauf könnte ein neues deutsches Selbstbewusstsein im Umgang mit den USA gründen? Man erreicht Jürgen Hardt bei den Reisevorbereitungen. Der außenpolitische Sprecher der Union ist auf dem Weg nach Washington, D. C. Er hat eine Einladung zu Trumps Amtseinführung ergattert.
Seit seinen Jahren als Transatlantikkoordinator der Bundesregierung pflegt er gute Gesprächskanäle zu Republikanern im Kongress. Auch Hardt ist überzeugt: Der deutsche Oberlehrerduktus von Scholz komme in den USA gar nicht gut an.
Stärke, die Trump respektiere, heißt für ihn einmal wirtschaftliche Stärke – aber auch militärische: „Für Trump sind wir ein interessanter Partner, wenn wir uns nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch in der mittelfristigen Finanzplanung zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato bekennen“, sagt Hardt.
Mit Geld allein sei es aber nicht getan, glaubt Hardt. Es komme auch auf die Qualität von Deutschlands Engagement an. Er hält es für denkbar, dass die Bundeswehr nach dem Vorbild der Litauen-Brigade und in enger Absprache mit den Partnern auch weitere Kapazitäten zum Schutz des Bündnisgebietes erwägt. Bei solchen Angeboten, so die Hoffnung, würde Trump an der transatlantischen Partnerschaft festhalten.