In der Berliner CDU-Zentrale atmeten sie nach der desaströsen 12-Prozent-Brandenburg-Katastrophe einmal tief durch. Alle, die im Vorfeld geraten hatten, den Kanzlerkandidaten lieber noch VOR dem gefürchteten letzten Urnengang im Osten zu nominieren, dürften sich bestätigt fühlen.

FAKT IST: Es wäre für den Parteivorsitzenden Friedrich Merz (68) nach so einem Desaster ein extrem unschönes Umfeld gewesen, sich den Deutschen als neuer Regierungschef zu empfehlen. Unpassend kommt das Wahlergebnis für Merz trotzdem: denn erst am Montagmorgen sollen die Präsidien von CDU und CSU Merz offiziell nominieren.

Ist die Brandenburg-Wahl gar ein erster Merz-Effekt?

Partei-General Carsten Linnemann weist das weit von sich. Schließlich habe die CDU auf Bundesebene „beste Umfrageergebnisse“ (bei Allensbach über 35 Prozent). Dies werde getrennt.

Ist taktisch auch besser so…

Aber Linnemann gibt auch zu: „Für uns ist das eine bittere Niederlage. Das muss man eingestehen und das sage ich auch heute. (…) Auch CDU-Wähler haben gesagt: Ich wähle Herrn Woidke, deswegen Glückwunsch.“

In der CDU ist ohnehin allen klar: Es wird kein einfacher Wahlkampf werden mit Merz. Auch seine Konflikte mit CSU-Chef Markus Söder, der im Kampf um die Kanzlerkandidatur mangels Unterstützung in der CDU schließlich aufgab, dürften wieder aufflammen.

Das zeigte sich bereits bei einer Buchvorstellung am Donnerstag – Merz`erstem Auftritt nach seiner Inthronisierung. Da ließ sich der CDU-Chef zu einer vielsagenden giftigen Schmeichelei für einen „taz“-Reporter hinreißen. Er macht dem Redakteur der linken Zeitung ein „Kompliment“ zu jener Titelseite, mit der das Blatt über die Entscheidung der K-Frage berichtet hatte: „Erste erfolgreiche Zurückweisung an der deutsch-bayerischen Grenze“ – eine Anspielung nicht nur auf Merz’ Knallhartforderungen in der Migrationspolitik. Sondern vor allem darauf, dass CSU-Chef Markus Söder (57) gezwungen war, ihm die Kanzlerkandidatur der Union anzutragen, weil er in der CDU gegen Merz keine Verbündeten gefunden hatte.

Als Merz das sagt, bricht im Saal hämisches Gelächter aus – auf Kosten Söders.

Nun kann man Markus Söder viel nachsagen. Aber nicht, dass er sich nicht zusammengerissen hätte beim Auftritt mit Merz am Dienstag. Und das, obwohl gerade sein Lebenstraum „zerplatzt war wie eine Seifenblase“ („Süddeutsche Zeitung“).

Merz hingegen erfreut sich öffentlich an linkem Spott über den Bayern – und zeigt so en passant, wie sehr Söder ihm auf die Nerven geht. Dass der CSU-Regent als Superminister in eine von Merz geführte Regierung eintritt, gilt als undenkbar. Beide könnten so viel Nähe nicht ertragen, heißt es.

Der in der CSU gut verdrahtete „Münchner Merkur“ brachte Söder stattdessen als möglichen nächsten Bundespräsidenten ins Spiel. Der Ego-Shooter aus Bayern als Stichwortgeber der Berliner Republik im Schloss Bellevue? Merz, so viel ist sicher, dürfte beim Gedanken daran gruseln. Doch jeder Deal in der Politik hat seinen Preis. Und das Kanzleramt einen besonders hohen.

Noch mehr Angst als vor einer Revanche Söders haben der CDU-Bundesvorsitzende und seine Strategen im Adenauer-Haus aber vor einem anderen Szenario – und auch das erklärt die Schmeicheleien für eine linke Zeitung.

„Es ist die größte Sorge der Christdemokraten, dass die SPD und linke Meinungsführer Friedrich Merz im Wahlkampf als eiskalten BlackRock-Kapitalisten brandmarken, der die Leute aus ihrer sozialen Hängematte schubsen will“, sagt Politologe Heinrich Oberreuter (81), der schon viele Wahlkämpfe verfolgt hat. Die von Merz` Widersacherin Angela Merkel wegen zu radikaler Reformforderungen am Ende fast verlorene Bundestagswahl 2005 wirke hier als „Trauma“ der CDU fort.

Zumal der Mann, der Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) beerben will, hier Angriffsfläche bietet. Denn sein Ex-Brötchengeber ist als globalistische Heuschrecke verschrien. Das Unternehmen BlackRock (englisch für „schwarzer Fels“) kümmert sich von Manhattan aus darum, ein zehn Billionen Dollar großes Vermögen seiner Anleger weiter zu mehren.

Der Millionär und Hobbyflieger Merz plant daher, sich vor der Wahl öffentlich nicht zu sehr auf die Seite des Wirtschaftsflügels der Union zu stellen, wo Forderungen nach der Anpassung des Renteneinstiegsalters an die Lebenserwartung en vogue sind.

Selbst die Forderung des neuen CDU-Arbeiterführers Dennis Radtke (45), dass ins Wahlprogramm der Union ein effektiver Mindestlohn von 15,27 Euro/Stunde hineingeschrieben wird, mag Merz nicht verdammen. Er weiß, dass der 15-Euro-Mindestlohn der Wahlkampfschlager von Olaf Scholz werden soll.

Bei der Bundesversammlung des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) in Berlin wich er bei einer Frage zu dem Thema aus – den Mindestlohn festzusetzen, das sei nicht „Aufgabe des Gesetzgebers“. Klare Kante geht anders. Aber Merz liebäugelt eben eher mit einem Wirtschaftswohlfühlwahlkampf. Eine seiner Hauptforderungen ist eine Steuerreform. Die Steuern seien „allesamt zu hoch“, nicht nur für Unternehmen, auch für mittlere Einkommen, sagte er beim RCDS, ohne weiter ins Detail zu gehen. Nötig seien auch Bürokratieabbau, schnellere Genehmigungen und eine Verschlankungsoffensive für den Staat. Motto offenbar: Bloß nicht in die 2005er-Falle tappen!

Doch Merz weiß auch, dass er den Mittelständlern und der Industrie Zucker geben muss. Kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich alle Unions-Flügel bisher einigen können, ist die Rasur des als zu hoch und ungerecht empfundenen Bürgergelds.

Viel Zeit zum Nachdenken, was programmatisch noch fehlt, ist nicht mehr. Das ergibt sich aus dem intern verschickten „Zeitplan Erstellung Regierungsprogramm“ (liegt BILD vor). Demnach läuft nur noch diese Woche der Input für die Textsammlung, an dem sich alle Vereinigungen der CDU beteiligen dürfen. Bis Mai wollen CDU/CSU alles in den Gremien beschlossen haben.

Doch Programmatik entscheidet keine Wahlen. Roland Koch (66), seit Wolfgang Schäubles Tod die graue Eminenz der Partei, weist gegenüber BILD auf die „rhetorische Kraft“ von Merz hin, „der Bevölkerung Entscheidungen mit klaren Worten zu vermitteln“. Mit Blick auf Merz’ Lebensweg sagt Koch, „dass zurzeit niemand in Deutschland bessere Voraussetzungen für die Kanzlerschaft mitbringt als Friedrich Merz“.

Dabei hat der Oppositionsführer im Bundestag noch nie regiert, nicht einmal als Dorfbürgermeister im Sauerland. Die Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrats, Astrid Hamker (58), sagte BILD, sie „lache herzhaft“ über Einwände, man könne „nur Kanzler sein, wenn man mal ein Ministerium geführt hat“. „Als ob es nicht zählt, wenn man in der Wirtschaft erfolgreich geführt hat.“ Der vermeintliche Nachteil kann aus Sicht der Parteistrategen in der Wirtschaftskrise (mit einem Bein in der Rezession) zum positiven Alleinstellungsmerkmal werden.

„Rot-Grün wirtschaftet Deutschland ab, die Arbeitslosigkeit steigt“, analysiert der Unionsfraktionsvize Jens Spahn (44). Merz stehe für eine Regierung, „die Wirtschaft kann“.

Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger (60) setzt auf den CDU-Vorsitzenden. Er erwartet, dass mit einem Kanzler Merz Arbeit „wieder attraktiver“ wird, wie er BILD sagte. „Standort first – das muss das Motto der nächsten Bundesregierung sein.“