„Wer wirklich Frieden will, muss im Zweifel auf den eigenen Sieg verzichten“

DIE ZEIT: Herr Würdemann, wie bewerten Sie Donald Trumps Friedensplan?

Tom Khaled Würdemann: Entscheidend ist, was er für die Zivilbevölkerung in Gaza bedeutet. Und da zeigt sich der Plan tatsächlich als Verbesserung gegenüber bisherigen Vorschlägen relevanter Akteure: Die Hamas wird Gaza nicht länger als Festung missbrauchen. Netanjahu und Trump scheinen ihre Fantasien von ethnischer Säuberung aufzugeben. Und arabische Staaten verpflichten sich, vor Ort aktiv zu werden.

ZEIT: Eine Zweistaatenlösung ist darin aber nicht vorgesehen. Wie reagieren die Menschen aus Gaza, mit denen Sie sprechen?

Würdemann: Alle, die ich kenne, begrüßen die Idee. Es muss maximaler Druck ausgeübt werden, diesen Deal anzunehmen. Nur Trump hat Einfluss auf Netanjahu. Seitdem dieser gänzlich auf den Schulterschluss mit rechtspopulistischen Parteien in Europa setzt, ist der Einfluss der EU in Jerusalem praktisch auf null gesunken. Hoffen wir, dass Trumps Wunsch nach dem Friedensnobelpreis groß genug ist.

ZEIT: Und was würde aus der Hamas werden?

Würdemann: Für die Hamas wäre der Deal hoffentlich der Beginn politischer Bedeutungslosigkeit. Was das allerdings für die Organisation selbst und für das größere Projekt des arabischen Islamismus bedeutet – also die Idee, Palästina als Symbol einer islamischen Selbstbehauptung in der Moderne zurückzuerobern –, lässt sich schwer sagen.

ZEIT: Wie sieht die internationale Palästina-Solidaritätsbewegung den Plan?

Würdemann: Große Teile der Palästina-Solidarität aus dem Lager der antiimperialistischen Linken und der Islamisten lehnen den Plan ausdrücklich ab. Genau auf diese Form der Solidarität gründete die Hamas ihre Strategie. Und erneut zeigt sich: Es geht nicht um die Palästinenser selbst, sondern um die symbolische Aufladung von „Palästina“.

ZEIT: Sie sind kürzlich in Jerusalem gewesen. Was hat Sie dort am meisten beschäftigt?

Würdemann: Vor allem die Gleichzeitigkeit von Wärme und Härte. Ich habe überwältigende Gastfreundschaft erlebt, sei es in einer jüdischen Familie oder bei einem palästinensischen Restaurantbesitzer. Doch sobald es um Politik ging, stieß man auf Meinungen, die in Sackgassen führten.

ZEIT: Inwiefern?

Würdemann: Auf beiden Seiten herrscht die Vorstellung, Frieden sei erst möglich, wenn die andere Seite verschwindet. Viele Palästinenser sind überzeugt, in Würde und Sicherheit könne man nur leben, wenn es Israel nicht mehr gibt. Und viele Israelis glauben, Sicherheit sei nur denkbar, wenn Palästinenser keine echte politische Mitsprache haben. Das ist der Widerspruch, der über beiden Ländern liegt: private Nähe, aber politisch eine Starre, die kaum Zukunft zulässt.

ZEIT: Sie beschreiben in Ihren Arbeiten ein Phänomen, das Sie „räuberische Empathie“ nennen. Was meinen Sie damit?

Würdemann: Beide Seiten missbrauchen Empathie, um ihre jeweiligen Feindbilder zu rechtfertigen. Auch nach der von der Hamas inszenierten Übergabe der ermordeten Bibas-Kinder sagten viele: Mit den Bestien in Gaza kann es kein Zusammenleben geben! Umgekehrt werden von Israel getötete unschuldige palästinensische Kinder wie Hind Rajab benutzt, um die Hamas zu verteidigen: Mit den zionistischen Bestien kann es kein Zusammenleben geben! Grauen wird instrumentalisiert, um neues Grauen zu fordern. Das ist politische Leichenschändung. Moralische Empörung allein legitimiert keine politischen Visionen.

ZEIT: Warum zieht gerade dieser Konflikt die Welt so stark in seinen Bann?

Würdemann: Weil er alles bündelt: die Symbolik von Kolonialismus und Widerstand, die Heiligkeit Jerusalems, die geostrategische Lage in der Nähe des Suezkanals und die extreme historische Sichtbarkeit der Juden. Israel wird deshalb nicht wie ein normaler Staat kritisiert, sondern als Projektionsfläche des Bösen. Linke Staatskritik kippt dann leicht ins Antisemitische: Aus legitimer Kritik an Machtmonopolen wird die alte Vorstellung, Juden hätten einen besonderen Einfluss.

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