An einem strahlenden Sommertag Ende August 2024 präsentiert Angela Titzrath stolz das derzeit wichtigste Projekt der HHLA. Auf Hamburgs größtem Containerterminal, dem Burchardkai, rollen elektrische Schwerlasttransporter ohne Fahrer, bewegen sich automatische Portalkräne, fügen sich Bewegungsabläufe ineinander – ohne Menschen auf der Hafenfläche selbst. „Diese Anlage“, sagt die Vorstandsvorsitzende der HHLA, „wird der modernste und ökologisch nachhaltigste Terminal für den Containerumschlag in Europa sein.“ Fast 20 Jahre der Planungen, harter Debatten und schließlich der Realisierung sind zu diesem Zeitpunkt beim Umbau des Burchardkais vergangen.
Den Abschluss des Großprojektes im kommenden Jahr und die weitgehende Automatisierung des Burchardkais wird Titzrath als Chefin des Hamburger Hafenlogistik-Konzerns indes nicht mehr erleben. Spätestens bis Ende 2025 gibt sie die Führung des Unternehmens ab, nach dann neun Jahren im Amt, darauf einigte sie sich im Juni mit dem Aufsichtsrat. Vorausgegangen war der Trennung ein Affront gegen den Vorstand und den Aufsichtsrat der HHLA durch die beiden Haupteigner der Hafenlogistik-Sparte, die Stadt Hamburg und den Maritimkonzern MSC. Beide halten derzeit gemeinsam fast 95 Prozent der Anteile am Teilkonzern Hafenlogistik der HHLA. Sie reduzierten den Dividendenvorschlag der HHLA im Juni kurz vor der Hauptversammlung von 16 auf zehn Cent für jede der sogenannten A-Aktien – einen Vorschlag, den Vorstand und Aufsichtsrat im März vorgelegt hatten, abgestimmt mit den Gesellschaftern.
Der 59-jährigen Managerin blieb nach dem Vorstoß der Gesellschafter kaum eine andere Wahl, als ihren Posten lange vor Vertragsablauf zu räumen. Im Dezember 2023 hatte der Aufsichtsrat Titzraths Vertrag vorzeitig um fünf Jahre verlängert, bis Anfang 2029. Schon damals war klar, dass die HHLA vor einer Zäsur steht: Der rot-grüne Hamburger Senat hatte im September 2023 angekündigt, den Anteil der Stadt am Teilkonzern Hafenlogistik von fast 70 Prozent auf 50,1 Prozent abzusenken, damit der italienische Konzern MSC – mit Sitz in Genf – einen Anteil von bis zu 49,9 Prozent übernehmen kann. MSC kaufte städtische Anteile und erwarb zudem bislang auch den größten Teil der an der Börse gehandelten HHLA-Aktien. Die Verlängerung von Titzraths Vertrag bereits Monate vor der Zustimmung der Hamburgischen Bürgerschaft zum Einstieg von MSC galt seinerzeit als wichtiges Signal: Die Stadt will für den Übergang Kontinuität bei der HHLA, gerade auch beim Umbau des Burchardkais.
Dass die Vorstandschefin im Juni dann derart rüde aus dem Amt gedrängt wurde, wirft Fragen auf. Vor allem: Warum nahmen die Eigner die vermeidbare Beschädigung des Unternehmens in Kauf? WELT AM SONNTAG sprach mit Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind, die aber nicht namentlich genannt werden wollen oder können.
Klar erscheint dabei: Die Kürzung des Dividendenvorschlags war ein Vehikel, um das Ende von Titzraths Amtszeit einzuleiten. Denn das finanzielle Volumen, das damit verbunden ist, wirkt relativ belanglos: Die Ausschüttung der Dividende wurde um rund 4,4 Millionen Euro auf insgesamt 11,3 Millionen Euro gesenkt. Die verbliebenen rund 16.000 Kleinaktionäre erhalten für das Jahr 2024 insgesamt rund 212.000 Euro Dividende weniger. Zum Vergleich: Bei der Neuordnung der Anteilsverhältnisse im vergangenen Jahr hatten die Stadt und MSC vereinbart, das Eigenkapital der HHLA um 450 Millionen Euro aufzustocken. 2024 verdiente der HHLA-Konzern netto rund 56,4 Millionen Euro, bei einem Umsatz von etwa 1,6 Milliarden Euro. Ein Nebeneffekt der reduzierten Dividende könnte es sein, Eigner des Streubesitzes zum Verkauf an MSC zu bringen, derzeit sind noch etwa 5,37 Prozent der Anteile in der Hand von freien Aktionären. MSC braucht nur noch 0,37 Prozent der börsennotierten A-Aktien, um gemeinsam mit der Stadt ein Herauskaufen der Minderheitsaktionäre zu organisieren, einen aktienrechtlichen „Squeeze-out“.
Das mutmaßliche Hauptziel aber ist bereits erreicht. „Mich hat das schockiert, weil ich es persönlich sehr unfair finde, wie mit Frau Titzrath umgegangen wird“, sagt einer der Brancheninsider. „Sie hat das Unternehmen gut geführt, hat wichtige Initiativen gestartet und wohl gehofft, ihren Ende 2023 verlängerten Vertrag zu erfüllen.“ Titzrath erhält für dieses Jahr ihre vollen Bezüge von 1,1 Millionen Euro sowie eine Abfindung von 1,58 Millionen Euro.
Die Eigner, und hier vor allem die Stadt Hamburg als Mehrheitsgesellschafter, sahen Titzraths Arbeit offenbar trotz der vorzeitigen Vertragsverlängerung kritisch. Zwar sicherte Titzrath dem Unternehmen in der schwierigen Übergangsphase Stabilität – Vorstand und Aufsichtsrat empfahlen Anfang 2024 in ihrer Stellungnahme den Einstieg von MSC. Der Vorstand verhandelte 2024 zahlreiche Verträge mit Hafenkunden neu und versicherte diesen, dass sich der neue Großeigner MSC im größten deutschen Seehafen künftig wettbewerbsneutral verhalten werde. Auch hält sich die HHLA-Führung zugute, die Arbeitnehmerrechte im Unternehmen längerfristig abgesichert zu haben.
Doch nicht die vergangenen eineinhalb Jahre brachten Titzrath zu Fall, sondern ein Betrachtungszeitraum von etwa fünf Jahren. Die Leistung der HHLA in dieser Zeit sei „unterperformant“, heißt es aus städtischen Kreisen. Das bedeutet unter anderem: Die HHLA-Terminals in Hamburg arbeiteten aus Sicht des Haupteigners zu langsam und zu teuer. Sollte dies tatsächlich der Hauptgrund für die Trennung von Titzrath sein, wäre er paradox. Denn zwei Themen prägten die Amtszeit der früheren Daimler- und Deutsche-Post-Managerin bei der HHLA: die Internationalisierung und die Digitalisierung und Automatisierung. Die Expansion im Ausland, der Erwerb von Hafenterminals in Estland und Italien, der Ausbau des HHLA-Güterbahnunternehmens Metrans waren weitgehend unumstritten. Die Automatisierung des Burchardkais und die weitere Automatisierung des Terminals Altenwerder sorgten hingegen seit Jahren für Streit und Streiks.
Titzrath trieb die Automatisierung seit 2017 deutlich voran, bei der es zuvor jahrelang kaum sichtbare Fortschritte gegeben hatte. Auch entstehen bei der HHLA nun viele neue Arbeitsplätze, etwa für Fernsteuerer und Systemtechniker. Der 2002 eröffnete, hoch automatisierte Terminal Altenwerder war damals der modernste Containerterminal der Welt. Doch Hamburg verspielte die Chance, mit einer schnellen Automatisierung des Burchardkais diese Führungsrolle zu erhalten. Die gut organisierten Hafenarbeiter der HHLA und die Gewerkschaft Verdi bremsten das Vorhaben aus, weil sie den Verlust von Arbeitsplätzen fürchteten. Keine der Parteien im Hamburger Senat traute sich, den Druck auf den Hafen zu erhöhen. So trug der Zeitverlust bei der Automatisierung mit dazu bei, dass Hamburg seit der Welt-Finanzmarktkrise Marktanteile an der Nordsee verlor.
Für die schwache Mengenentwicklung auf den drei Containerterminals der HHLA – dort werden etwa drei Viertel aller Container in Hamburg umgeschlagen – sind der Vorstand und speziell auch Titzrath mitverantwortlich. Durch den Austausch der Führungsfigur wird das Problem aber nicht einfach verschwinden – dafür sind die geografischen und wirtschaftlichen Einflussgrößen des Hafens viel zu komplex. Ohnehin ging es bei Titzrath vor allem auch um ihr Verhältnis zur städtischen Politik: Viele Akteure im Hamburger Senat und in der Bürgerschaft vermissten bei der selbstbewusst auftretenden HHLA-Chefin die freundliche Zugewandtheit einer städtischen Angestellten – inklusive etwa einer regelmäßigen Präsenz bei Ausschusssitzungen der Bürgerschaft.
Mit Frist zur Mitte dieses Jahres hatten sich die Stadt und Titzrath die Option ausbedungen, den Vertrag im Zweifel vorzeitig aufzulösen. Dass es so kam, war aber nicht zwangsläufig. Ungeklärt bleiben große Fragen: Wann nehmen die Eigner das Unternehmen von der Börse, wandeln sie die HHLA in eine GmbH mit weisungsgebundener Geschäftsführung um – und wie soll die HHLA künftig aussehen? „Das Konstrukt der HHLA als voll integrierter Logistikkonzern für Hafenterminals, Intermodal- und Logistikgeschäfte und zusätzlich auch als Eigner großer Immobilienbestände in Hamburg ist so nicht mehr sehr wettbewerbsfähig“, sagt Jan Ninnemann, Professor für Logistik an der Hamburg School of Business Administration (HSBA). „Die Entwicklungen im internationalen Hafengeschäft laufen schon lange ganz anders. Ganz entscheidend für die HHLA wird sein, welche Rolle MSC bei der Entwicklung des Unternehmens künftig spielen soll und wird.“
Der Vorsitzende des HHLA-Aufsichtsrates und frühere Bahnchef Rüdiger Grube hat angekündigt, schon gegen Ende Juli einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Titzrath präsentieren zu wollen. Die Eigner hingegen sehen wohl keinen Zeitdruck bei der Neubesetzung. Grube, der dem Aufsichtsrat seit Juni 2017 angehört, will die Leitung des Gremiums dieses Jahr abgeben. Ein Hamburger Hafenkenner, der durch die Kürzung der Dividende mit seinen zwei HHLA-Aktien zwölf Eurocent eingebüßt hat, hält den Managementveteranen für den eigentlichen Bremser bei der Lösung vieler Probleme: „Verkrustungen an etlichen Stellen im Unternehmen wurden nicht beseitigt. Und das ist vor allem auch Grubes Verantwortung.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die maritime Wirtschaft, über Häfen, Schifffahrt und Werften.