Wenn der kurze Olaf geht

Seit der Bundestagswahl am Sonntagabend hat der Begriff „kurzer Olaf“ eine zusätzliche Bedeutung erlangt: Olaf Scholz ist derjenige Bundeskanzler aus der SPD mit der kürzesten Amtszeit seit dem Zweiten Weltkrieg. Nur Ludwig Erhard von der CDU regierte zwischen Oktober 1963 und November 1966 noch kürzer.

„Kurzer Olaf“ heißt im Volksmund in Hamburg die Bauruine des Elbtowers. Scholz hatte das Projekt als Erster Bürgermeister (2011 bis 2018) maßgeblich unterstützt. Die Insolvenz der österreichischen Signa-Gruppe, deren Gründer René Benko mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt, droht das Hochhausprojekt in den Abgrund zu reißen. Die Bauarbeiten ruhen seit Oktober 2023. Insgesamt 245 Meter hoch sollte der Elbtower werden, bei 100 Metern war zunächst Schluss mit der Betonage.

Von 2018 bis 2021 war Scholz Bundesfinanzminister. Seit Dezember 2021 und noch bis zur Vereidigung seines mutmaßlichen Nachfolgers Friedrich Merz (CDU) im Frühjahr ist er Bundeskanzler. Bei seinem Weggang aus Hamburg im Jahr 2018 hat Scholz im politischen Körbchen der Hansestadt mindestens zwei faule Eier hinterlassen.

Da ist einerseits der „kurze Olaf“, dem sich Hamburgs Senat vermutlich noch lange Zeit wird widmen müssen. Bereits jahrelang beschäftigt hat Scholz einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, und zwar mit seiner Rolle in der Cum-Ex-Steuerhinterziehungsaffäre. Scholz’ vor dem Ausschuss mehrfach zelebrierte Erinnerungslücken in Sachen Cum-Ex warfen insgesamt auch ein schlechtes Licht auf Hamburgs politische Kultur: War der Erste Bürgermeister mit der einflussreichen Privatbank M.M. Warburg verfilzt? Der Ausschuss konnte das bei 68 Sitzungen zwischen Anfang 2021 und Anfang 2025 bei aller Mühe nicht für alle zweifelsfrei klären – und die Hamburger Opposition aus CDU, Linken und AfD zieht folgerichtig genau dieses Filz-Fazit.

Allerdings genossen Hamburg und Schleswig-Holstein in der kurzen Zeit der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP auch viel politische Unterstützung aus Berlin. Gern besuchte Scholz Hamburg als Bundeskanzler. Bei Terminen wie der Präsentation des ersten in Hamburg gefertigten Quantencomputers im vergangenen Jahr warb er für die Innovationskraft der Hamburger Wirtschaft und Wissenschaften – und für die Grundlagen, die er selbst als Bürgermeister dafür gelegt hatte.

Die Agenda der „Energiewende“, für die in der „Ampel“ vor allem der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck aus Flensburg zuständig war, realisieren die beiden Nordländer schon seit Jahrzehnten gemeinsam – Hamburg etwa als wirtschaftliches Zentrum der deutschen Offshore-Windkraft-Industrie, Schleswig-Holstein als ein wesentliches Erzeugerland für Windstrom. Auch die Themen Wasserstoffwirtschaft und Sektorkopplung treiben beide Länder miteinander voran.

Das Projekt einer „Gigafabrik“ für E-Auto-Antriebsbatterien des schwedischen Konzerns Northvolt nahe dem schleswig-holsteinischen Heide subventionierten der Bund und auch Schleswig-Holstein finanziell massiv – und Habeck und Scholz obendrein auch mit viel persönlichem Einsatz. Auch Hamburg ist als Standort – vor allem für Fachkräfte und Logistik – eng in das Vorhaben einbezogen. Ob die Fabrik nach der Insolvenz von Northvolt noch verwirklicht wird, ist derzeit unklar.

Habeck und auch Scholz brachten zudem viel Sachkenntnis über die maritime Wirtschaft in die Ampelregierung mit ein – Scholz und sein enger Vertrauter, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) sorgten letztlich dafür, dass die chinesischen Staatsreederei Cosco trotz viel politischen Widerstandes auch aus der eigenen Koalition 24,9 Prozent der Anteile am HHLA-Containerterminal Tollerort in Hamburg erwerben konnte. Habeck wiederum knüpfte etliche Verbindungen zwischen der Werftindustrie und der Offshore-Windkraft-Branche. Die Bedeutung der deutschen Seehäfen für die Energieversorgung ist zudem mit dem Beginn des Ukrainekrieges und dem weitgehenden Stopp der russischen Energielieferungen deutlich gestiegen. Die Ampelregierung hatte das gut im Blick, unter anderem mit der schnellen Organisation schwimmender Importterminals für Flüssigerdgas (LNG) im Jahr 2022.

Mit dem Ergebnis der Bundestagswahl verlieren Habeck und Scholz ihre politischen Spitzenämter. Auch Schmidt hat vermutlich das Ende seiner Regierungskarriere erreicht, selbst dann, wenn die Union mit der SPD erneut eine Koalition eingehen wird. Der Einfluss wiedergewählter Hamburger Grünen-Abgeordneter wie der von Till Steffen ist in der Opposition geringer als während der Ampelzeit – und die FPD ist im Bundestag gar nicht mehr vertreten, wie bislang noch mit dem durchaus wortmächtigen Verkehrs- und Energiepolitiker und früheren Hamburger Landeschef Michael Kruse.

Mit wenig Begeisterung blickt man aus Hamburg auf das möglicherweise neu entstehende Infrastrukturministerium unter einem Kanzler Merz. Dort würden nach den Plänen der Union die Themen Verkehr, Bau und Energie gebündelt. Wer es übernehmen könnte, ist noch völlig offen.

Klar ist jedoch: Der aktuelle, parteilose Verkehrsminister Volker Wissing (bis Ende 2024 FDP) wird seine Arbeit nicht weiterführen – für Hamburg ist das ein politischer Verlust. Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) betonte in den vergangenen Jahren immer wieder, wie gut die Zusammenarbeit mit Wissing aus Hamburger Sicht funktioniert hat. Beide hatten ähnliche Vorstellungen zur Sanierung und zum Ausbau der Bahnstrecken in und nach Hamburg. Über die ideologischen Interessen ihrer Parteien hinweg waren Tjarks und Wissing zudem einig, welche Autobahnprojekte in Hamburg entscheidend für ganz Deutschland sein würden und Priorität umgesetzt gehörten. Dazu gehörte etwa der Neubau der Norderelbbrücke der Autobahn A1.

Verärgert war man über das Verkehrsministerium im Hamburger Senat hingegen oft, während es von 2009 bis 2021 von der CSU geführt wurde. Zwar hat die CSU vor dieser Bundestagswahl schon deutlich gemacht, kein gesteigertes Interesse an dem Ministerium zu haben und für den ehemaligen Verkehrsminister Alexander Dobrindt ein anderes großes Ressort zu beanspruchen. Doch welche Partei in der künftigen Koalition das Verkehrsministerium mit welcher Person führen soll, muss nun erst verhandelt werden.

Ein Hoffnungsträger aus Hamburg Sicht allerdings ist in dieser Gemengelage Kultursenator Carsten Brosda, 51. Durchaus realistisch erscheint es, dass Brosda in der sich anbahnenden Großen Koalition unter dem designierten Bundeskanzler Merz das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien bekleiden, also zum nächsten deutschen Kulturstaatsminister werden könnte. Bereits nach der Bundestagswahl von 2021 galt der Sozialdemokrat als aussichtsreicher Kandidat. Er kam lediglich deshalb nicht zum Zuge, weil die Grünen den Posten in der Ampelkoalition für sich reklamieren konnten und sich für Claudia Roth entschieden. Sie wird jedoch der kommenden Bundesregierung als Grüne nicht mehr angehören. Und Kulturstaatsministerin a. D. Monika Grütters von der CDU – sie amtierte acht Jahre lang unter Bundeskanzlerin Angela Merkel – ist zur aktuellen Abgeordnetenwahl zum Deutschen Bundestag nicht mehr angetreten.

Sollte die SPD in der kommenden Regierung den Kulturstaatsminister stellen, führt von der Qualifikation und Erfahrung in der Kultur- und Medienpolitik her praktisch kein Weg an Brosda vorbei – der sich auch als Kämpfer der Kultur gegen den Rechtsruck in ganz Deutschland einen Namen gemacht hat. Denn der aus Gelsenkirchen stammende Hamburger Senator ist sowohl in der Parteiführung der Bundes-SPD als auch in der Bundeskulturpolitik fest verankert. Zudem ist der promovierte Medienwissenschaftler ein ausgewiesener Medienpolitiker, der bereits den 2020 verabschiedeten Medienstaatsvertrag der Deutschen Bundesländer für Hamburg mit aushandelte.

In Berlin war Brosda von 2000 bis 2005 in zentralen Positionen des Bundesvorstands der SPD, unter anderem als Pressereferent und Referent für Grundsatzfragen tätig. Anschließend leitete er im Bundesarbeitsministerium von 2005 bis 2009 unter Franz Müntefering und Olaf Scholz das Referat Reden, Texte und Analysen. Anschließen war er Abteilungsleiter Kommunikation des SPD-Parteivorstands, bis Olaf Scholz ihn 2011 zum Leiter des neuen Amtes Medien in die Hamburger Senatskanzlei berief. 2016 wurde Brosda dann zum Staatsrat für Medien sowie Staatsrat in der Kulturbehörde unter der parteilosen Kultursenatorin Barbara Kisseler. Nach deren Tod im selben Jahr trat er im Februar 2017 ihre Nachfolge an.

Seither gehört er dem Senat als Senator für Kultur und Medien an und arbeitet seit dem Wechsel von Olaf Scholz ins Kanzleramt erfolgreich mit dessen Nachfolger in Hamburg, Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zusammen. Den Kulturetat der Hansestadt konnte er von 326 Millionen 2019 auf 461 Millionen Euro im laufenden Jahr steigern und damit Hamburgs Ruf als Kulturstadt entscheidende fördern. Die Subventionen kommen dabei keineswegs nur Leuchtturmprojekten wie der Elbphilharmonie zugute, sondern wirken auch wie beispielsweise durch die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen und die Stadtteilkulturförderung in der Breite.

Auch überregional profilierte Brosda sich weiter. 2019 übernahm er den ersten Vorsitz der unter dem Dach der Kultusministerkonferenz gegründeten Kulturministerkonferenz, in der die Kulturminister aller 16 Bundesländer Fragen der Kulturpolitik von überregionaler Bedeutung behandeln. Die gemeinsamen Anliegen in der Kulturpolitik werden im regelmäßigen Austausch mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kulturstiftung der Länder und der Kulturstiftung des Bundes sowie den kommunalen Spitzenverbänden geltend gemacht.

Seit 2020 hat Carsten Brosda eine weitere überregionale Position von großer Bedeutung inne, folgt seither auch als Präsident des Deutschen Bühnenvereins dem Vorbild von Barbara Kisseler, die von 2015 bis 2016 als Präsidentin des Verbands wirkte. Brosda folgte auf Ulrich Khuon, der dem Bühnenverein von 2017 an vorstand. Auch als Autor politischer Debattenbücher machte Brosda sich in den vergangenen Jahren einen Namen und positionierte sich mit „Die Kunst der Demokratie“ 2020 und spätestens mit „Mehr Zuversicht wagen“ im Jahr 2023 als Kämpfer für die offene Gesellschaft in einer demokratischen Bundesrepublik.

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