Wenn aus Befreiung Selbstunterdrückung wird

Es gab einmal eine Zeit, da galten -Männer, die ihre Partnerinnen mästen, als skurrile Fälle, die
allenfalls eine Schlagzeile in der -Zeitung wert waren. Heute filmen sich Menschen
dabei, wie sie sich selbst mästen, stellen die Videos auf TikTok und erhalten entsetzte bis wütende Reaktionen Tausender Zuschauer.

Willkommen in der Welt der Fat-Influencer und von Fat-Acceptance. Letztere begann als Bewegung, die sich für die
Akzeptanz von fettleibigen Menschen einsetzte, verwandelte sich aber mithilfe
von Social Media in eine Freakshow, die selbstschädigendes Verhalten
verherrlicht und befeuert. Wir wissen ja, dass viele Social-Media-Trends
kurzlebig sind, doch bei Fat-Influencern ist es tragischer: Sie selbst
haben oft ein kurzes Leben. Caitlin Clare Cat Pausé, Brittany Sauer, Taylor LeJeune und Jamie Lopez sind die Namen von Fat-Influencern
mit großer Reichweite. Was sie alle gemein haben: Sie sind tot.

Caitlin Clare Cat Pausé war Professorin für Fat-Studies und stritt vehement den Zusammenhang zwischen
Übergewicht und chronischen Erkrankungen ab. Sie verstarb mit 42 Jahren. Auch
Brittany Sauer starb früh, sie wurde nur 28. In den letzten zwei Jahren
vor ihrem Tod konnte sie das Haus nicht mehr verlassen, litt an Diabetes Typ 2
und schweren Hautinfektionen, die nicht heilten. Taylor LeJeune filmte sich für
seine 1,9 Millionen TikTok-Follower beim Binge-Essen kalorienreicher Lebensmittel und starb vermutlich an einem Herzinfarkt. Er wurde nur 33 Jahre alt.

Jamie
Lopez erlangte Bekanntheit als Teilnehmerin einer Reality-TV-Show und gründete
einen Schönheitssalon für fettleibige Frauen, mit dem sie deren körperlichen
Bedürfnissen gerecht werden wollte. Sie starb mit 37 Jahren. Lopez hatte noch
versucht, gegenzusteuern und unglaubliche 180 Kilogramm abgenommen, war danach
allerdings noch immer übergewichtig.

Die Todesfälle teils
reichweitenstarker Influencer führten paradoxerweise nicht zum Umdenken,
sondern zu einer Verschärfung der Rhetorik der Fat-Acceptance. Wer auf die Idee
kommt, infrage zu stellen, wie gesund es sei, mehr als einhundert Kilo Übergewicht
mit sich herumzuschleppen, wird als „fettphobisch“ und rassistisch
bezeichnet (denn Schlanksein sei eine weiße Erfindung). Auf TikTok und YouTube
präsentieren Fat-Influencer stolz ihre Fettschürze. 

Man darf annehmen, dass
solche Videos – wie jene, in denen sich Personen beim Binge-Eating zeigen – eine Form von oder sind. Wenn Sie mit den Begriffen nichts anfangen können, möchte
ich Ihnen gratulieren: Sie sind nicht in die Untiefen des Netzes abgestiegen.
und setzen darauf, mit Content, der die Zuschauer wütend
macht oder anekelt, Klicks zu generieren. Die Inhalte werden millionenfach
geteilt, kommentiert und damit popularisiert. Viele TikToker und YouTuber bauen
ihren Erfolg allein auf dem Hass auf, den sie erzeugen.

Die Tragik ist natürlich, dass Menschen
sich selbst zur Zielscheibe für Beleidigung und Abwertung machen. Sie betonen
zwar Selbstliebe und Selbstakzeptanz – so richtig glauben möchte man diese
Floskeln aber nicht. Wegen der Formelhaftigkeit der konstanten Beschwörung der
Selbstliebe. Und weil man sich gut vorstellen kann, dass ein Körper, der so
schwer ist, permanent Schmerzen und Unannehmlichkeiten bereitet.

Auf Fat Girl Flow, einer Website für – nun
ja – berichtet eine Userin, dass sie sich seit Jahren nicht mehr
selbst den Hintern abputzen könne. Und das sei total okay für sie.

Schlimmer noch, ihr Beitrag kritisiert eine
andere, frühere Fat-Influencerin, weil diese versuchte, ihr Gewicht zu
reduzieren. Sie hatte sich ebenfalls nicht mehr den Hintern abwischen können.
Mit anderen Worten: Das Gewicht behindert bei der Verrichtung alltäglichster
Aufgaben. Oh, wo wir bei Behinderung sind: Die Autorin auf Fat Girl Flow findet
die Idee, sich gerne selbst den Po sauber machen zu wollen, behindertenfeindlich.
Der Autorin fällt gar nicht erst auf, dass diese Form der Behinderung eine selbst gewählte ist.

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