Weltgeist an der Schreibmaschine

 

Ein Gespenst geht um, diesmal nicht nur in Europa. Es spukt nicht in mittelalterlichen Schlössern und schubst auch keine Knappen in Burggräben, sondern geistert in Promibiografien, Politikerreden und der einen oder anderen Doktorarbeit herum: der Ghostwriter. Er ist der eine Geist, der stets bejaht, zumindest, solange das Honorar stimmt.

Damit wird er nicht nur für seine Arbeit bezahlt, sondern auch für die Verheimlichung dieser Arbeit. Der Ghostwriter ist die Affäre jener Menschen, die mit der Öffentlichkeit verheiratet sind, ein Schandfleck auf den Maßanzügen der Leistungsgesellschaft. Hinter jedem Unternehmer steht ein Heer von Assistenten, jeder Arbeitgeber weist das Schaffen seiner Angestellten wie selbstverständlich als Eigenleistung aus. Beim geschriebenen Promiwort aber hört der Spaß auf. Das soll bitte auch von demjenigen stammen, dessen Name am Ende auf dem Buchdeckel steht.

Wie er’s macht, macht es der Ghostwriter falsch. So klagt derzeit eine Doktorandin vor dem Landgericht Lüneburg, weil die Ghostwriting-Agentur, der sie fast 17.000 Euro für „Hilfe“ bei ihrer Dissertation gezahlt hat, angeblich minderwertige Ware geliefert habe. Dass sie es selbst offenbar nicht besser hingekriegt hätte, ist ein amüsanter Aspekt des Rechtsstreits, der ihr wohl durchgerutscht sein muss. Der Ghostwriter wird dadurch ans grelle Tageslicht gezerrt, dorthin, wo sich Gespenster natürlich gar nicht gern aufhalten.

Alles wäre schlechter ohne Ghostwriter

Was unter dieser Schockbeleuchtung verloren geht, ist der Wesenskern des Ghostwriters. Er ist der vielleicht letzte Idealist im Geschäft der geschriebenen Worte. Er schreibt nicht, um gesehen zu werden, sondern damit jemand anders besser gesehen wird. Und zu schade ist er sich auch für nichts: Noch das leerste Gestammel aus Pop- und Trashkultur verwandelt er in halbwegs lesbare Prosa, noch dem letzten D-Promi dichtet er eine halbwegs spannende Geschichte an. Das ist radikale Demut: diskret, zuverlässig und dank Kleinunternehmerregelung vielleicht sogar von der Umsatzsteuer befreit.

Die Bestsellerregale wären dünner ohne den Ghostwriter, die Sonntagsreden von Politikern kürzer, und auch die Instagram-Captions unter manchem Celebrity-Post würden den Vibe der Personal-Brand womöglich nicht mehr richtig einfangen. „Wäre mir auch recht“, denken Sie nun? Dann sollten Sie sich mal eine Welt ohne Ghostwriter ausmalen. Die größten Egos der Unterhaltungsbranche müssten plötzlich in eigenen ganzen Sätzen denken. Ihre Bücher würden nicht verschwinden, sondern einfach noch viel schlechter werden.

Mehr lesen
by Author
Man malt sich schon wieder den Charakter des nächsten Migrationsstreits aus: schematisch,…