Es ist eine kleine Sensation in der US-Medienlandschaft: Die renommierte, liberale „Washington Post“ – Besitzer ist Amazon-Chef Jeff Bezos (60) – wird erstmals seit 1988 keine Empfehlung für die US-Präsidentenwahl aussprechen!
Donald Trump (78) oder Kamala Harris (60) als nächster Chef im Oval Office – das ist am 5. November die Frage. Nachdem sich die ebenfalls gewichtige „New York Times“ für Harris ausgesprochen hat, gibt „Washington Post“-Herausgeber William Lewis am Freitag in einem Leitartikel bekannt: Von seiner Zeitung werde keiner der Kandidaten unterstützt.
„Washington Post“ positioniert sich weder für Harris noch für Trump
Das Argument von Lewis: Die Zeitung müsse unabhängig sein und es den Lesern überlassen, sich ihre eigene Meinung zu bilden.
Er verwies darauf, dass die „Washington Post“ ursprünglich keine Empfehlungen vor Präsidentenwahlen ausgesprochen hat und dies erst seit 1976 regelmäßig tut. Nur 1988, beim Rennen George H.W. Bush (Republikaner) und Michael Dikakis (Demokrat), hat man bisher ausgesetzt.
Auch bei künftigen US-Wahlen werde man keinen Präsidentschaftskandidaten mehr unterstützen, kündigte Lewis an.
Bei der überwiegenden Mehrheit der US-Wahlen für Bundes-, Landes- und Kommunalämter hat die Redaktion der „Post“ demokratische Kandidaten unterstützt, und nur gelegentlich die Republikaner.
Jeff Bezos soll eingegriffen haben
Neben dem Leitartikel ihres Herausgebers veröffentlichte die „Washington Post“ einen weiteren Text. Darin beruft sie sich auf zwei Mitarbeiter, deren Namen nicht genannt werden und die behaupten: Es sei bereits ein Artikel mit der Kamala-Harris-Zustimmung entworfen worden. Die Entscheidung, plötzlich keinen Kandidaten zu unterstützen, sei dann von ihm gekommen: Amazon-Gründer Jeff Bezos!
Von offizieller Stelle will die „Post“ nichts dazu sagen und verweist auf den Leitartikel von Lewis.
Ex-Chefredakteur wirft der Zeitung „Feigheit“ vor
Der Redaktionsausschuss und die Entscheidungsfindung über die Unterstützung der Zeitung sind vom Betrieb der Nachrichtenredaktion getrennt. Dennoch äußert sich die Journalistenvertretung der „Washington Post“ besorgt, dass das Management sich in redaktionelle Angelegenheiten eingemischt zu haben scheine.
Der frühere Chefredakteur Martin Baron, der die Zeitung durch die Amtszeit Donald Trumps führte und 2021 in den Ruhestand trat, kritisierte die Entscheidung als „Feigheit“. Trump werde sie als Ermutigung auffassen, Bezos und andere Medienbesitzer weiter einzuschüchtern.