Der Zustand der Ampel-Koalition verschlechtert sich zusehends: öffentlich zelebrierte Alleingänge von Kanzler, Wirtschaftsminister und Finanzminister, notdürftig überdeckte Haushaltslücken und eine fehlende Strategie, wie die Wirtschaftskraft des Landes gesichert werden kann.
Längst wird offen über ein vorzeitiges Aus der Ampel-Regierung und vorgezogene Neuwahlen im März 2025 spekuliert. Es wäre in der Geschichte der Bundesrepublik erst das zweite Mal nach 1983, dass die Bürger im Frühling an die Urnen gehen, um einen neuen Bundestag zu wählen.
Im Dezember 1982 hatte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Parlament die Vertrauensfrage gestellt und verloren. Der nächste Haushalt war damals aber schon mit Mehrheit der Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP beschlossen. Es gab also wenig Zweifel, wofür wie viel Geld im Wahljahr bis zu einem möglichen Regierungswechsel ausgegeben werden kann.
Dieses Mal könnte es anders kommen – nämlich dann, wenn die Ampel-Koalition zerfällt, bevor das Parlament den nächsten Bundeshaushalt beschlossen hat. Für alle, die auf staatliche Fördermittel im nächsten Jahr setzen, wäre dies mit Unsicherheiten verbunden. Mit der Ampel-Regierung wackeln also auch die Fördertöpfe 2025.
Denn dann beginnt am 1. Januar eine Phase vorläufiger Haushaltsführung. „Im Wesentlichen würden nur gesetzliche Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, ausgezahlt. In Förderprogrammen würden Förderstopps entstehen, das wäre Gift für die Investitionen in dieser wirtschaftlich angespannten Lage“, sagte der Vorsitzende des Haushaltsausschusses Helge Braun (CDU) im Gespräch mit WELT.
Grundsätzlich sind Phasen vorläufiger Haushaltsführung nicht ungewöhnlich. Auch in diesem Jahr gab es eine solche, als nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts 60 Milliarden Euro fehlten und der Bundeshaushalt 2024 neu aufgestellt werden musste. Doch die Verunsicherung war von kurzer Dauer. Am 2. Februar beschloss der Bundestag den veränderten Gesetzentwurf und damit einen Haushalt für 2024.
Diese Phase würde in dem Szenario einer Neuwahl im kommenden März sehr viel länger dauern. Sind alle Stimmen ausgezählt, kommt es zunächst zu Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen. Die neue Regierung stünde möglicherweise im Mai.
Doch einen neuen Haushaltsentwurf der Regierung gäbe es dann weiterhin nicht, geschweige denn einen Beschluss des Bundestages. Normalerweise dauert dies noch einmal ein gutes halbes Jahr. „Falls es im Frühjahr vorgezogene Neuwahlen ohne vorherigen Haushaltsbeschluss gibt, befinden wir uns mindestens bis Mitte 2025 in der vorläufigen Haushaltsführung, das wäre sehr problematisch“, sagte Braun. Nach der bislang letzten Bundestagswahl im September 2021 wurde das neue Zahlenwerk fast neun Monate später Anfang Juni 2022 vom Parlament beschlossen.
Das Grundgesetz sieht in Artikel 110 eigentlich vor, dass der Bundeshaushalt vor Beginn eines Haushaltsjahres beschlossen sein muss. In Zusammenhang mit Wahlen ändert sich der Zeitplan. Denn ein von der alten Regierung vorgelegter Entwurf kann vom neuen Bundestag nicht mehr beraten werden.
Das sogenannte Diskontinuitätsprinzip sieht vor, dass alle Gesetzesvorhaben, die innerhalb einer Legislaturperiode nicht verabschiedet worden sind, automatisch verfallen. Der von der alten Regierung erarbeitete Haushaltsentwurf kann vom neuen Bundestag nicht mehr beraten werden. Es braucht zunächst einen neuen Regierungsentwurf.
Der amtierenden Regierung sollen im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung weiterhin Ausgaben ermöglicht werden, die „zur Weiterführung wichtiger und dringlicher Staatsgeschäfte unerlässlich sind“, heißt es in einem Beschluss des Großen Senats des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2017.
Streng genommen sind dann nur noch Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Sozial- und Familienleistungen beispielsweise fließen natürlich weiter. Auch Bauprojekte, für die bereits im Vorjahr Mittel bewilligt wurden, dürfen fortgesetzt werden.
Drohende Ausgabenbremse
Zusätzliche, neue Verpflichtungen dürfen aber nicht eingegangen werden. Für Förderprogramme, die bereits länger laufen, galt in der Vergangenheit bei vorläufiger Haushaltsführung eine Ausgabenbremse. Es durfte nicht mehr als ein bestimmter Prozentsatz des bisher veranschlagten Volumens fließen.
Leistungsausweitungen sind in einer solchen Phase nicht erlaubt. Wenn das Geld weg ist, ist es weg. Ende Januar 2022 führte dies beispielsweise dazu, dass die Förderbank KfW mit Verweis auf die im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung zur Verfügung stehenden Mittel die Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude mit sofortiger Wirkung stoppte. Zuvor war es zu einem großen Andrang auf die Förderung gekommen.
Noch ist es nicht so weit. Finanzminister Lindner hält trotz aller Konflikte bislang offiziell an dem bisherigen Zeitplan für die Haushaltsaufstellung fest. Für den 14. November, ein Donnerstag, ist weiterhin die entscheidende Sitzung des Haushaltsausschusses angesetzt.
Das ist jenes oft bis in den Morgen des nächsten Tages dauernde Treffen, bei dem die Haushaltsexperten des Parlaments (unter Vorsitz von Helge Braun) die Etats aller Ministerien festschreiben. Der gesamte Bundestag soll den Gesetzentwurf dann Ende November beschließen, so der Plan.
Selbst in Regierungskreisen schwindet allerdings die Erwartung, dass es dabei bleibt. Denn dafür müssten sich die Koalitionsspitzen bereits in der kommenden Woche darauf einigen, wie die Milliardenlücken geschlossen werden können.
Die Änderungen müssen schließlich noch in die sogenannte Bereinigungsvorlage eingearbeitet werden. Zur Vorbereitung der Bereinigungssitzung sollte diese Vorlage den Mitgliedern des Haushaltsausschusses wiederum einige Tage vor dem 14. November vorliegen.
Der Ausschussvorsitzende Braun drängelt. „Der Finanzminister muss dem Haushaltsausschuss jetzt sehr schnell darlegen, wie er die Milliardenlücken im Haushalt, von denen er selber spricht, schließen will“, so Braun.
Komme es zu größeren Änderungen am Haushaltsentwurf, könnten die Haushaltsberatungen ansonsten nicht wie geplant mit der Bereinigungssitzung am 14. November abgeschlossen werden. „Der Haushaltsausschuss braucht mehr als ein oder zwei Tage Zeit, um einen in wesentlichen Teilen veränderten Haushalt zu beraten.“
Womöglich sei bei neuen Finanzierungsinstrumenten, die genutzt werden sollen, eine erneute Expertenanhörung notwendig, warnt Braun: „Eine Verschiebung der Bereinigungssitzung wäre in diesem Fall unausweichlich.“
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.