ZEIT ONLINE: Herr Ostermeier,
die Schaubühne hat am Dienstag eine Erklärung veröffentlicht, der zufolge ihr schon
bald die Insolvenz drohe. Die Kürzungen im Kulturetat, heißt es in dem Papier,
seien noch viel drastischer, als es vom Berliner Senat angekündigt war. Was
meinen Sie konkret?
Thomas Ostermeier: Wir werden
voraussichtlich zusätzlich zu den Kürzungen von 1,8 Millionen Euro, die wir
sofort erbringen sollen, noch 700.000 Euro einsparen müssen, in toto also 2,5
Millionen. Und das ist keinesfalls zu schaffen.
ZEIT ONLINE: Wie kommt
diese zusätzliche Summe zustande?
Ostermeier: Das sind die
Tarifaufwüchse, die nicht ausgeglichen, also nicht erstattet werden.
Üblicherweise werden diese Tarifsteigerungen ausgeglichen und sind nicht Teil
von Kürzungsszenarien. Das ist jetzt aber wohl nicht
so. Und das hat uns niemand aus der Politik gesagt. Wir haben das jetzt selbst herausgefunden.
In der Streichliste des Senats steht relativ lapidar: Die Tarifaufwüchse werden
nicht ausgeglichen.
ZEIT ONLINE: War das
früher anders?
Ostermeier: In den letzten
Jahren wurden die Tarifaufwüchse immer nachvollzogen. Das war dem vorigen
Kultursenator Klaus Lederer, als einem linken Politiker, immens wichtig, dass Einsparungen
nicht auf dem Rücken der Arbeitenden ausgetragen wurden und zu sozialer Not
führten.
ZEIT ONLINE: Sie sind von
dieser zusätzlichen Summe nun überrascht?
Ostermeier: Ja, weil man uns
gesagt hatte, das werde ausgeglichen. Ich habe schon vor einem halben Jahr den
jetzigen Kultursenator Joe Chialo gefragt, ob die Tarifaufwüchse doch
ausgeglichen werden, und Chialo meinte, er gehe davon aus.
ZEIT ONLINE: Kann es sein,
dass ihm die Sache mit den Tarifaufwüchsen gar nicht geläufig war?
Ostermeier: Das kann schon
sein, ja.
ZEIT ONLINE: Was Sie nun voraussichtlich
einsparen müssen, überschreitet also noch die von Ihnen bisher als nicht
akzeptable angesehene Marke von zehn Prozent?
Ostermeier: Es sind jetzt
eher 13 Prozent. Chialo hat uns Betroffenen die ganze Zeit signalisiert, wir
sollten uns wehren. Da sei noch was zu machen, so schlimm werde es nicht
kommen, wir müssten nur laut werden, und er werde hinter den Kulissen die
Kürzungen runterdrücken auf fünf oder maximal acht Prozent. So nahm er sich
selbst aus der Schusslinie, und wir Künstler haben Krach gemacht. Und nun kommt
ans Licht, dass alles noch schlimmer kommt, als wir alle befürchtet hatten. Das
bedeutet: Chialo hat scheinbar nicht viel bewirken
können für die Künste.
ZEIT ONLINE: Wie ist Ihrer
Meinung nach Chialos Stand in der Stadt?
Ostermeier: Was da geschah,
ist eine Bankrotterklärung. Uns hat er suggeriert, ich bin euer Fürsprecher, ich hole das Beste für die Kultur raus, aber dazu muss ich leise im Hintergrund agieren. Und wir
waren so naiv, ihm das zu glauben, und er hat es
sich wahrscheinlich sogar selbst geglaubt. Aber seine
Strategie ist nicht aufgegangen. Man hat ihn regelrecht hinter die Fichte
geführt. Das zumindest ist der Eindruck, wie er sich mir
darstellt. Was wirklich passiert ist, weiß ich natürlich auch nicht.
ZEIT ONLINE: Was genau ist da geschehen?
Ostermeier: Die
Finanzpolitiker sowohl von CDU als auch von SPD bringen in diesen
Kürzungsvorgaben allerhand unter, um dem Regierenden Bürgermeister eine
möglichste fette Streichungsliste vorlegen zu können. Den Kultursenator haben
sie meines Erachtens nicht in die Feinheiten dieser Kürzungsliste eingeweiht.
ZEIT ONLINE: Es wurde
ausgenützt, dass er …
Ostermeier: … unerfahren ist.
ZEIT ONLINE: Wie ist jetzt
die Stimmung unter den Kulturschaffenden in Berlin?
Ostermeier: Jetzt läuft
gerade das alte Spiel, das kennt man ja auch. Chialo sagt: „Ja, da ist noch
nicht das letzte Wort gesprochen, da ist noch
was drin bei den Parlamentariern; da kann man noch was abmildern.“ Das glaube
ich aber nicht. Tatsächlich ist es so: Es werden Titel
in der Kürzungsliste „versteckt“ in der Hoffnung, keiner merkt es. Und wir
stochern im Nebel.