Hubertus Heil klingt in der Causa Volkswagen (VW) wie ein Vollblut-Gewerkschafter: Keine Werksschließung, alle Arbeitsplätze müssen erhalten bleiben! Der Arbeitsminister aus der SPD will den Sparkurs des Volkswagen-Konzerns „politisch flankieren“ – und ist damit kein Einzelfall. Von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) über FDP-Fraktionschef Christian Dürr bis zu Kanzler Olaf Scholz (SPD): Jeder hat etwas zu sagen, jeder will als Anwalt der Arbeiter dastehen.
Nicht, dass es schlecht wäre, sich für den Erhalt von gut bezahlten Industrie-Arbeitsplätzen starkzumachen, im Gegenteil. Doch umso dringender stellt sich die Frage: Warum jetzt erst?
Kaum geht es um große Marken wie Volkswagen oder die Meyer Werft, spielt sich Vater Staat als Retter auf. Innerhalb weniger Tage, so scheint es, hat man sich in Berlin darauf geeinigt, dass ja kein Arbeitsplatz in Wolfsburg verloren gehen dürfe. Und im Handumdrehen war die Staatsrettung – also die Steuerzahler-Rettung – der in Luxemburg ansässigen Meyer Holding beschlossen. „Whatever it takes“.
Dass sich seit Monaten aber ein Flächenbrand in der Industrie ausgebreitet hat, wurde hingegen wenig beachtet. Monat für Monat erklärte Heil, der Arbeitsmarkt sei stabil. Und tatsächlich vermittelt das Rekordhoch von 46 Millionen Beschäftigten das Gefühl von trügerischer Sicherheit. Nur: Zusätzliche Jobs entstehen vor allem beim Staat selbst oder im staatsnahen Bereich.
In der Industrie indes ist der Stellenabbau – gegen den allgemeinen Trend – schon lange Realität. Kein Wunder: Die Industrieproduktion lag im Juli um 19 Prozent unter dem vorläufigen Höchstniveau von Ende 2017; die Firmeninsolvenzen sind zuletzt stark gestiegen.
Der Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt: Im Vorjahresvergleich ist die Zahl der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie um 22.000 geschrumpft, im Baugewerbe steht ein Minus von 27.000 und im verarbeitenden Gewerbe sind es 62.000 Menschen weniger.
Industrie ja, Mittelständler nein?
Betroffen sind häufig Beschäftigte in kleinen, aber energieintensiven Unternehmen, oft im ländlichen Raum. Jene Mittelständler, die keine prominenten Fürsprecher haben, wo die gewerkschaftliche Organisation schwach ist und Entlassungspläne es selten über die Lokalzeitungen hinausschaffen.
Wo bleiben hier die Rettungseinsätze von Scholz und Co? In der Fläche Abhilfe zu schaffen, ist eben ungleich schwerer als eine „politische Flankierung“ bei Volkswagen anzukündigen – denn die Ursache der Industrie-Krise liegt ja zum Teil in der Politik und den Rahmenbedingungen selbst. Die Produktion ist in Deutschland zunehmend teuer und unrentabler geworden. Neben dem Auftragsrückgang und der Konkurrenz von außen liegt das an einem Cocktail aus zu hohen Energiepreisen, erstickender Bürokratie und hohen Lohnstückkosten.
Die angekündigte – und freilich noch lange nicht umgesetzte – Wachstumsinitiative ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Ob sie die Standortbedingungen tatsächlich verbessern wird, bleibt abzuwarten.
Der Rückgang der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe hat im Übrigen noch einen weiteren negativen Effekt. Wenn zunehmend Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor aufgebaut werden, gut bezahlte Jobs in der Industrie aber weniger werden, sind sinkende Einnahmen für die Steuer- und Rentenkassen die Folge. Geht dieser Trend weiter, bedeutet das für die ohnehin schon steigende Abgabenlast der Beschäftigten nur eines: Es geht noch weiter nach oben.
Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.