Die Union hat erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel am Etatentwurf der Ampel-Regierung. „Der Haushaltsausgleich wird hingetrickst, um sich über die Legislaturperiode zu retten und eigene Lieblingsprojekte nicht zu gefährden, egal gegen wie viele Haushaltsgrundsätze dabei verstoßen wird“, sagte Christian Haase, finanzpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, vor Beginn der Haushaltsberatungen im Parlament.
Er beruft sich dabei auf ein Kurzgutachten des Verfassungsrechtlers Hanno Kube von der Universität Heidelberg, der die Union schon bei der erfolgreichen Verfassungsklage gegen den Nachtragshaushalt 2021 der Ampel-Regierung vor den Richtern in Karlsruhe vertreten hatte. Auch der Bundesrechnungshof sieht in den Gesetzentwürfen zum Bundeshaushalt „erhebliche Mängel und Risiken“, heißt es in einem jener Berichte, die im Vorfeld der Haushaltsberatungen an die Abgeordneten gingen.
Die Kritik zeigt, dass sich die Ampel-Spitzen trotz wochenlanger Verhandlungen im Kanzleramt bislang auf kein stimmiges Zahlenwerk einigen konnten. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hätten am liebsten erneut die Schuldenbremse ausgesetzt, Finanzminister Christian Lindner (FDP) gerne gespart. Mit Platzhaltern und Hoffnungswerten versuchten die Drei vor der Sommerpause, die Differenzen zu überbrücken.
Die größte Lücke ist die sogenannte globale Minderausgabe. Dieser Platzhalter war auch in der Vergangenheit durchaus üblich, da nie alle geplanten Projekte tatsächlich umgesetzt werden – aber in dieser Höhe gab es sie noch nie. Sie liege „sehr deutlich über den Erfahrungswerten aus der Vergangenheit“, schreibt Jurist Kube. Schon daraus würden sich „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ ergeben.
Diese würden durch die Eigenkapitalspritzen und Darlehen, die statt Zuschüssen für Investitionen an die Bahn gehen sollen, noch verstärkt, so Kube. Laut Bundesrechnungshof handelt es sich bei der geplanten Umwidmung um eine „bloße Umetikettierung“, um die Lücke im Haushalt zu schließen und die Schuldenbremse zu retten. Die Vereinbarkeit mit der Schuldenregel sei „zweifelhaft und verfassungsrechtlich riskant“, heißt es in dem Bericht der Behörde mit Sitz in Bonn, zu deren Aufgabe die Überprüfung der Ausgaben des Bundes gehört.
Woher kommt der Einspareffekt beim Bürgergeld?
Gleiches gilt für die niedriger angesetzten Bürgergeld-Ausgaben im kommenden Jahr, so Kube und der Bundesrechnungshof unisono. Die Regierung geht davon aus, dass die Ausgaben für das Bürgergeld und die Leistungen für Unterkunft und Heizung 2025 um mehr als fünf Milliarden Euro sinken werden. Wie sie auf diesen Einspareffekt kommt, ist offen.
Laut Rechnungshof verweist das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales von Hubertus Heil (SPD) lediglich auf die „Gesamtwirkung aller Maßnahmen der Wachstumsinitiative“. Erklärtes Ziel der Regierung ist unter anderem, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und bei Verstößen gegen die Regeln härter zu sanktionieren.
Um die geplante Einsparung in Höhe von 5,3 Milliarden Euro zu realisieren, müssten nach Einschätzung des Rechnungshofs „rechnerisch 600.000 Leistungsberechtigte vollständig aus dem Leistungsbezug ausscheiden“.
Auch Ökonomen sind skeptisch. „Das ist wenig realistisch, zumal sich die Chancen am Arbeitsmarkt jetzt stark eintrüben“, sagt Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Öffentliche Finanzen am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Es sei ein großer Fehler der Sozialpolitik gewesen, wirksame Sanktionen nicht während des Arbeitsmarktbooms einzuführen. Die Regelverschärfung sei überfällig, werde dem „Haushalt 2025 aber wenig helfen“, sagt Heinemann.
Er hält die Annahmen zu den Wirkungen der gesamten Wachstumsinitiative für „kurzfristig zu optimistisch“, auch wenn die geplanten Schritte langfristig in die richtige Richtung gingen. Mehr als sechs Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen wurden für 2025 angesetzt, ohne, dass bislang eine Maßnahme umgesetzt wurde. Der Ansatz der gut sechs Milliarden Euro beruhe auf den „sehr fraglichen, aber von der Bundesregierung unterstellten Effekten der geplanten, noch nicht in Kraft gesetzten Wachstumsinitiative“, schreibt Kube.
Noch ist Zeit für Änderungen am Zahlenwerk. Erst Ende November soll der Bundestag den Haushalt beschließen, so sieht es der Zeitplan vor. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert von der Regierung Hinweise, wie die Zwölf-Milliarden-Lücke im Etatentwurf verkleinert werden kann. „Das Ziel ist es, bei der globalen Minderausgabe auf zwei Prozent des Haushaltsvolumens zu kommen, also auf circa 9,6 Milliarden Euro“, sagt der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dennis Rohde. „Für die Umsetzung erwarten wir konstruktive Vorschläge auch von der Bundesregierung“.
Rohde zeigt sich überzeugt, dass dies gelingen wird. „Am Ende wird ein solider, verfassungskonformer Bundeshaushalt stehen. Da bin ich optimistisch“, sagt der Haushaltspolitiker. Er lädt die Vertreter von CDU und CSU ein, sich an den Verhandlungen konstruktiv zu beteiligen. „Es wäre schon ein Anfang, wenn sich die Union dieses Jahr überhaupt an den Haushaltsberatungen mit Anträgen beteiligt“, sagt er. Schon der Auftakt der Haushaltswoche zeigt, dass es genug zu diskutieren gibt.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.