Vor diesem Urteil zitterte die Liga. Zu Recht!
Um 10.07 Uhr verkündet das Bundesverfassungsgericht: Der Profifußball soll zahlen.
Der zehn Jahre dauernde Streit um Polizeikosten bei Bundesligaspielen endet mit einer Niederlage für die Vereine in Deutschland! Der Erste Senat in Karlsruhe lehnte die Verfassungsbeschwerde (Az. 1 BvR 548/22) der DFL ab. Die Deutschen Fußball Liga hatte sich gegen die Regelung Landes Bremens gewehrt, das die Kosten für zusätzlichen Polizeiaufwand bei sogenannten Hochrisikospielen an die Liga weiterreichte.
Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts: Die angegriffene Norm sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Ziel der Regelung sei es, die Kosten auf denjenigen zu verlagern, der sie zurechenbar veranlasst habe und bei dem die Gewinne anfallen. Also die Klubs!
Das sei ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel.
DFL-Rechtsanwalt Bernd Hoefer: „Leider ist uns das Bundesverfassungsgericht (…) nicht gefolgt. Das ist für uns natürlich enttäuschend. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht heute gesagt, dass es ein Gemeinwohlinteresse auch an der Ausrichtung von Spielen der Fußball-Bundesliga gibt.“
Worum ging es?
Seit 2014 ist im Bremer Gebühren- und Beitragsgesetz festgehalten, dass die Stadt bei bestimmten Veranstaltungen Gebühren erheben kann, wenn vorhersehbar zusätzliche Einsatzkräfte der Polizei benötigt werden. Die Regelung bezieht sich auf „gewinnorientierte, erfahrungsgemäß gewaltgeneigte Veranstaltungen“ mit mehr als 5.000 Menschen. Bei normalen Bundesligaspielen in Bremen sind 500 bis 600 Ordnungskräfte im Einsatz, bei Hochrisikospielen wie z.B. gegen den HSV 800 bis 1.000.
Was sind Hochrisikospiele?
Es sind Spiele, bei denen mit heftigen Auseinandersetzungen zwischen Fan-Lagern der Vereine gerechnet wird. In der Saison 2022/23 gab es laut DFL-Angaben in der 1. und 2. Liga 52 sogenannte „Rotspiele“.
Um wie viel Geld geht es?
Den ersten Gebührenbescheid bekam der Verband im Jahr 2015 – damals zum Erstliga-Duell zwischen Werder und dem HSV. 400.000 Euro stellte der Stadtstaat Bremen der DFL für die Polizeikosten in Rechnung. Weitere Gebühren-Post folgte – für Polizeieinsätze bei Risiko-Spielen von Werder in Höhe von insgesamt 1.952.288,99 Euro geschickt. 50 Prozent der Summe (976.145 Euro) musste der Klub der DFL bereits erstatten.
Nach Angaben der Stadt Bremen geht es mittlerweile um mehr als drei Mio. Euro.
Wie ist der Standpunkt der DFL?
Für den Verband ist die Regelung verfassungswidrig. Begründung: Es fehle an einer abgrenzbaren, ihr zurechenbaren Leistung der Stadt Bremen. Die sei aber verfassungsrechtliche Voraussetzung für eine rechtmäßige Gebührenerhebung. Geschäftsführer Marc Lenz: „Fakt ist, die Bundesligisten investieren signifikant in präventive Maßnahmen. Fakt ist auch, dass das Stadionerlebnis in Deutschland sehr sicher ist. Und das bei bis zu 20 Millionen Zuschauern pro Jahr.“ Einzelne Störer seien für die Polizeieinsätze verantwortlich – nicht die Organisatoren.
Außerdem: Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum untersteht nach Ansicht der DFL der Polizei. Die Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte werde nicht von der Liga veranlasst. Die Polizei ist im Interesse der Allgemeinheit tätig. Ein Mehraufwand zur Verhinderung von Gewalttaten rechtfertige daher keine Gebührenpflicht.
Was sagt Bremen?
Für Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (73/SPD) sind die Bundesländer durch den polizeilichen Mehraufwand bei Bundesligaspielen hoch belastet. Nach dem Urteil sagt er jetzt: „Die Profiliga zahlt in einen Fonds ein und die Polizeien des Bundes und der Länder werden dann nach dem Aufwand abgerechnet. Das wäre das Einfachste.“
Mäurer: „Es ist ein erfreulicher Abschluss. Es gibt kein einziges Thema, was nun noch offen ist, und insofern war das ein sehr erfreulicher Vormittag.“
Nach Prozessen vor dem Verwaltungsgericht Bremen, dem Oberverwaltungsgericht, dem Bundesverwaltungsgericht landete das Thema schlussendlich beim Bundesverfassungsgericht.
Wie sehen das andere Bundesländer?
Bei einer BILD-Umfrage schlossen Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Hamburg und Sachsen Gebühren nicht aus. KEINE Rechnungen wollen NRW, Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Schleswig-Holstein stellen. Insgesamt sieben Bundesländer plädieren für ein bundeseinheitliches Vorgehen: neben Rheinland-Pfalz, Hessen und Hamburg auch das vor dem BVerfG-Urteil noch unentschlossene Quartett mit Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland.
Wie hoch ist die Arbeitsbelastung der Polizei im Profifußball?
Laut Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) für die Saison 2023/24 kamen in 993 Liga-Spielen der Bundesliga, 2. und 3. Liga insgesamt 2,044 Mio. Arbeitsstunden zusammen. Das entspricht umgerechnet der Arbeitszeit von 1 572 vollzeitbeschäftigten Polizisten. Normalerweise sind 200 bis 250 Polizisten im Einsatz, bei Hochrisikospielen können es 1 000 bis 1 500 werden.
Welche Folgen hat das Urteil für die Liga?
Das haben die Klubs (noch) selbst in der Hand. DFL und DFB führen seit dem Gipfeltreffen mit den Sportministern der Länder im Oktober 2024 Gespräche mit der Politik, wie die Sicherheit in den Stadien verbessert werden soll. Dazu gehören die Einrichtung einer zentralen Stadionverbots-Kommission, strengere Einlasskontrollen im Kampf gegen Pyrotechnik und Waffen und besser geschulte Ordner.
Welche Polizeikosten können auf die Klubs zukommen?
Bremens Mäurer rechnet mit 20 bis 30 Mio. Euro pro Saison zusätzlich (zu den 120 Mio. Euro bei ‚normalen Spielen‘, für die weiterhin die Steuerzahler aufkommen) bei Risikospielen. Bezahlt werden sollen sie von den TV-Einnahmen aus einem DFL-Solidartopf. Das lehnt DFL-Boss Hans-Joachim Watzke (65/BVB) vehement ab, auch weil dann Klubs betroffen wären aus Bundesländern, die keine Rechnungen stellen.
Hat das Urteil Folgen für Fans?
Die Klubs könnten die Polizeikosten durch eine Erhöhung der Eintrittspreise kompensieren.
Wie ist die Lage in anderen Ländern?
Die Premier League trug etwa die Hälfte der Gesamtkosten für Polizeikräfte von mindestens 15,3 Mio. Pfund (18,2 Mio. Euro) für die Überwachung von Spielen der 1. Englischen Liga bei – nur IN den Stadien. Spiele bei Tottenham kosteten die Polizei 2,9 Mio. Pfund, Liverpool-Spiele in Anfield 1,6 Mio. Pfund. Für Spiele von Manchester United im Old Trafford wurden 1,5 Mio. Pfund ausgegeben. Für Polizeieinsätze außerhalb zahlen die Klubs nichts. In Spanien zahlt der Staat für alle fußballbezogenen Polizeieinsätze.
In Frankreich dagegen müssen die Fußballvereine seit 1995 für zusätzliche Polizeikosten bei Hochrisikospielen aufkommen, in Italien beteiligen sich die Vereine seit 2014 an den Kosten.