Urban Legends, das sind Märchen

Im großen Finale der neuen Zürcher -Folge wird
der Titel noch verständlich. Wenn auch in einer, nun ja, Variation.
(SRF-Redaktion: Tamara Mattle, Gabriella de Gara) heißt das Abenteuer, und am
Ende lässt nicht eine Frau ihr Haar von einem Turm herabhängen, sondern baumelt
aus dem Fenster eines Wohnhauses an zusammengebundenem Bettzeug.

Die Konstruktion ist nur leider viel zu kurz, um auf die
Straße zu gelangen. Die Polizistinnen Ott (Carol Schuler) und Grandjean (Anna
Pieri Zuercher) stehen unten und haben wohl sogar eine Art Hausmeister bei der
Hand. Der antwortet aber auf die Frage, was mit der Wohnung sei, vor deren
Fenster die Frau baumelt: „Komm ich nicht ran.“

Was symptomatisch ist für diese Folge. will das
Spektakuläre und Besondere, kommt aber nicht ran. Die Lösungen, die das
Drehbuch für Figurenmotivation und Kriminalfall findet, sind häufig schlicht
(Drehbuch: Adrian Illien). Das geht gleich am Anfang los, wenn Vanessa Tomasi
(Elena Flury), die Partnerin von Lynn Fischer (Elsa Langnäse), der final
baumelnden Frau, im Club auftaucht, in dem Lynn arbeitet. Die Clubszenen sind
betont stylish inszeniert (Szenenbild: Peter Scherz), dienen aber nur als Deko
für ein wenig dialogisches Hin und Her (Regie: Tobias Ineichen).

Vanessa ängstigt sich, weil sie sich verfolgt fühlt, Lynn redet’s
klein, um am Ende ihre Freundin doch zu bitten, ein Taxi nach Hause zu nehmen.
Inzwischen ist Lynn aber nicht mehr verängstigt. Zwischendurch kritisiert der
Barbesitzer – und man könnte durchaus sagen: nicht ganz zu Unrecht – dass Lynn
doch zum Arbeiten da sei. Was Vanessa empört, woraufhin der Barbesitzer sie
rausschmeißt, seine Anordnung aber auch nicht konsequent verfolgt. Also noch
Geturtel der beiden Frauen im Vorraum, als wäre nicht Hochbetrieb. Technisch
betrachtet kann man das vermutlich „Konflikt“ nennen, erzählerisch bleibt
es oberflächlich und forciert.

Das trifft auch für den Fall zu. Vanessa wird vor der
Club-Tür vom ominösen Verfolger nieder- oder gleich totgeschlagen, jedenfalls
hängt sie am nächsten Tag – noch ein spektakuläres, aber leeres Bild – auf
einem Baum am Rande der Stadt. Bei der Tötung handelt es sich um eine
Rachegeschichte, denn Vanessa und Lynn hatten etwas gestohlen, was unter
anderem dem ominösen Verfolger gehörte.

Und zwar: Echthaar. Das ist das „Thema“ dieser
Folge, das zitatenreich und kulturgeschichtlich bis in den Titel durchgeackert
wird, auch wenn als, nun ja, Variation. Es gibt den Friseursvater von Vanessa
(Bruno Cathomas), den ein Bootsunfall vor Jahren mit der
Perückenmanufakturbetreiberin Aurora Schneider (Stephanie Japp) verbindet;
Schneider wurde von Vanessa und Lynn bestohlen, um Echthaar im Wert von 100.000
Franken.

Als Gegenbild zum ehrlichen Handwerk gibt’s die global
agierende Echthaar-Firma, die ihre Kunden betrügt und von einem adeligen Paar
geleitet wird (Pascale Pfeuti, Matthias Schoch). Womöglich sind die beiden
privat ganz nett, der gibt ihnen aber keine Chance, das zu
zeigen: Das Adelige erkennt man an den schnöseligen Halstüchern, die das
Kostümbild den beiden verordnet hat (Ursina Schmid), das Global-Agierende an
einem Mitarbeiter, der die Befragung durch die Polizei mit superwichtigen
Hinweisen auf Englisch stören muss.

Weil doch immer was los sein muss im Bild. Der
ARD-Sonntagabendkrimi lebt nicht selten in dem Glauben, dass es äußerst
attraktiv sei, wenn Personen, von denen die Polizei etwas wissen will, mit
Nebentätigkeiten beschäftigt sind, statt an einem Tisch in einem schmucklosen
Büro auf dem Revier zu sitzen.

Als König dieses absurden Getues dürfte der Uni-Bibliothekar
(Ernst C. Sigrist) gelten, der bei laufendem Betrieb Bücher ins Regal
zurückstellt, während er doch Auskünfte über Lynn Fischer geben soll – und
dabei den Satz sagt: „Ich gebe nicht gern Auskünfte über Personen
hier.“ Dass die umsitzenden Studierenden vom Dialog nicht gestört werden,
ist übrigens daran zu erkennen, dass alle brav auf ihre Arbeit gucken. Wie das
so ist, wenn die Polizei in einer Bibliothek Leute befragt. 

So geht in die lange -Geschichte
einerseits als spezifisch misslungener Film ein, der die Sache mit den Haaren so
aufführt, dass man geneigt sein könnte,
lauter Witze drüber zu machen. Der einzige Vorteil ist hier, dass das
Maskenbild (Marc Hollenstein) einmal Aufmerksamkeit für sich reklamieren kann,
weil es dem Täter und der beim Bootsunfall versehrten
Perückenmanufakturbetreiberin Glatzen schminken muss.

Andererseits steht diese Folge aber auch für ein durchaus
größeres Problem beim ARD-Sonntagabendkrimi. Der Film würde so gern Kino sein, mit seinen schicken Schauplätzen, der aufregenden Action und einer permanent
Spannung verbreitenden Musik (Fabian Römer). Vergisst darüber aber völlig, dass
das, was Kino so faszinierend macht, zuerst der Umstand ist, dass Filme uns
schöne Geschichten erzählen.

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