Ungarn und Ukraine weisen gegenseitig Diplomaten aus

Vor dem Hintergrund einer möglichen Spionageaffäre haben die Ukraine und Ungarn Diplomaten des jeweils anderen Landes ausgewiesen. „Zwei ungarische Diplomaten müssen unser Land binnen 48 Stunden verlassen“, teilte der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha auf X mit. Zuvor sei der ungarische Botschafter einbestellt und darüber informiert worden. „Wir handeln basierend auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und unserer nationalen Interessen als Reaktion auf Ungarns Handlungen“, schrieb Sybiha.

Zuvor hatte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó unter dem Vorwurf der Spionage zwei ukrainische Diplomaten des Landes verwiesen. Damit reagierte er auf eine mögliche Spionageaffäre, in deren Zuge die Ukraine einen von Ungarn aus gesteuerten Spionagering aufgedeckt haben will. Es sei das erste Mal, dass sich ein derartiger Verdacht habe erhärten können, teilte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU mit.

Agenten sollen Militär ausspioniert und Haltung zu Ungarn sondiert haben

Nach eigenen Angaben nahm der SBU zwei Personen fest, die im Auftrag eines ungarischen Geheimdienstbeamten militärisch sensible Informationen in der Ukraine beschafft haben sollen. Den Namen des ungarischen Geheimdienstlers, der sie gesteuert haben soll, nannte der SBU nicht – will dessen Identität jedoch festgestellt haben können.

Die beiden Festgenommenen seien ehemalige ukrainische Soldaten. In ungarischem Auftrag sollen sie Informationen über die westukrainische Region Transkarpatien gesammelt haben, die an Ungarn grenzt. Unter anderem hätten sie Standorte von militärischen Einrichtungen wie Luftverteidigungsstellungen sowie Stationierungsorte von Kampfjets und Militärhubschraubern ausgespäht. 

Zudem sollten sie nach Angaben des SBU in Erfahrung bringen, welche ukrainischen Militäreinheiten in örtlichen Kasernen untergebracht seien, wie gut die Polizei der Region ausgerüstet sei und ob derzeit militärische oder militärisch nutzbare Infrastruktur in der Region gebaut werde. Auch sollen sie versucht haben, ähnliche Informationen über weitere Gebiete der Ukraine beschafft zu haben.

Der Spionagering soll darüber hinaus sondiert haben, ob es in Transkarpatien einen Schwarzmarkt für militärische Ausrüstung gebe. Weiterhin sollen die beiden Verdächtigen nach Darstellung des SBU die „gesellschaftlich-politische Stimmung“ der Bevölkerung Transkarpatiens im Hinblick auf ihre Einstellung zu einer hypothetischen militärischen Präsenz ungarischer Truppen in der Region studiert haben. 

SBU vermutet größeren Spionagering

Einer der beiden Festgenommenen sei spätestens im September 2024 angeworben worden und habe später versucht, selbst zwei weitere Personen zu rekrutieren. Mindestens zweimal sei er unter dem Vorwand, kranke Familienmitglieder im Ausland zu besuchen, nach Ungarn ausgereist und habe dort von seinem Auftraggeber Geld erhalten und ihm dort Informationen übergeben. 

Die zweite Verdächtige sei erst in diesem Jahr vom Militärdienst entlassen worden und habe unter anderem ihre ehemalige Einheit ausspionieren sollen. Beide mutmaßlichen Agenten seien derzeit in Untersuchungshaft, ihnen drohen lebenslange Haftstrafen wegen Landesverrats. Der SBU vermutet nach eigenen Angaben, dass der Spionagering größer sei: „Derzeit werden allumfassende Maßnahmen ergriffen, um alle Mitglieder des ungarischen Geheimdienstnetzes zur Verantwortung zu ziehen“, teilte der Geheimdienst mit.

In Transkarpatien lebt eine ungarische Minderheit, die etwa 150.000 Menschen umfasst. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat der Ukraine in der Vergangenheit mehrfach vorgeworfen, die Rechte der Minderheit zu missachten. Den Vorwurf nutzte er auch als Vorwand, um EU-Vorhaben wie Sanktionspakete gegen Russland und Unterstützungsleistungen an die Ukraine zu blockieren oder zu verzögern.

Im März teilte Ungarn mit, einen von der Ukraine angestrebten EU-Beitritt unter anderem wegen der Minderheitenfrage verhindern zu wollen. Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr allerdings in einem Bericht zum Stand der Beitrittsgespräche mit der Ukraine die rechtliche Situation von ethnischen Minderheiten in dem Land als weitgehend zufriedenstellend bewertet.

Orbán provozierte mit Anspielung auf ungarische Expansion in die Ukraine

Das Verhältnis zwischen Ungarn und der Ukraine ist seit Jahren angespannt. Grund dafür ist die russlandfreundliche Haltung des ungarischen Regierungschefs, der eine militärische Unterstützung der Ukraine durch die USA und die EU ablehnt und zum Abbau von Russlandsanktionen aufruft. Auch kritisierte die Ukraine Treffen Orbáns mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Aussagen, die nach Ansicht der Regierung in Kyjiw den russischen Angriffskrieg relativierten. Orbán wiederum beschuldigte die Ukraine nach dem Transitstopp von russischem Öl durch ukrainisches Gebiet nach Ungarn und in die Slowakei, die Interessen seines Landes zu missachten.

Für einen Eklat im Zusammenhang mit Transkarpatien hatte bereits Ende 2022 ein Auftritt Orbáns gesorgt. Damals trug er einen Fußballschal, auf dem eine Karte Ungarns abgebildet war. Auf dieser waren Teile von Nachbarländern als ungarisches Staatsgebiet gekennzeichnet – darunter ein Teil Transkarpatiens. Einige Gebiete in der Westukraine waren vor mehr als 100 Jahren Teil von Österreich-Ungarn. Die Ukraine protestierte gegen den Auftritt und warf Orbán vor, die von Russland negierte Souveränität des Landes ebenfalls infrage zu stellen.