Das ukrainische Parlament hat nahezu einstimmig ein von Präsident Wolodymyr Selenskyj eingebrachtes Gesetz gebilligt, das die zuvor abgeschaffte Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden des Landes wiederherstellen soll. 331 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, neun gaben keine Stimme ab. Es gab keine Enthaltungen oder Gegenstimmen.
Das Gesetz gibt dem Nationalen Antikorruptionsbüro (Nabu) und der Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (Sapo) ihre Unabhängigkeit zurück. Vor zwei Wochen hatte Selenskyj ein zuvor vom Parlament im Eilverfahren beschlossenes Gesetz unterzeichnet und es damit in Kraft treten lassen, das die nach der Revolution 2014 gegründeten unabhängigen Behörden der Generalstaatsanwaltschaft unterstellt.
Umgang mit Antikorruptionsbehörden rief Empörung hervor
Da der Generalstaatsanwalt vom Präsidenten ernannt wird, rief das Gesetz Empörung hervor, da die Antikorruptionsbehörden dadurch indirekt Selenskyjs Einfluss unterliegen würden. Die Behörden selbst sprachen von ihrer faktischen „Zerstörung“ durch das Gesetz. Daraufhin kam es zu tagelang anhaltenden Protesten Tausender Menschen in Kyjiw und weiteren Städten. Es handelte sich dabei um die ersten Demonstrationen seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine.
Auch Vertreter von EU-Staaten und der G7 kritisierten die Entmachtung der Antikorruptionsbehörden und teilten mit, der Schritt könne den von der Ukraine anvisierten EU-Beitritt gefährden. Der Kampf gegen die Korruption gehört zu den wichtigsten Bedingungen der EU-Kommission für den Beitrittsprozess.
Selenskyj lenkt nach Protesten ein
Nach den Protesten im In- und Ausland lenkte Selenskyj ein und kündigte an, die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden mit einem neuen Gesetz wiederherstellen zu wollen, das im Parlament nun beschlossen wurde. Damit es in Kraft treten kann, muss Selenskyj es noch unterzeichnen.
Kritiker der ukrainischen Regierung und zahlreiche Medien in dem Land warfen dem Präsidenten vor, mit dem Vorgehen gegen die Antikorruptionsbehörden Vertraute schützen zu wollen, die ins Visier der Ermittler geraten sind.
So soll etwa Timur Minditsch, ein ehemaliger Geschäftspartner Selenskyjs, angeblich Zielperson von Ermittlungen der Antikorruptionsbehörden sein. Zuvor war das Nabu gegen den ehemaligen stellvertretenden Regierungschef Oleksij Tschernyschow vorgegangen, dem unter anderem Untreue bei der Privatisierung von Grundstücken im Staatsbesitz vorgeworfen wird. Durch die Zahlung einer hohen Kaution entging er einer Untersuchungshaft.
Razzia gegen Ex-Berater Selenskyjs in Bayern
Die Antikorruptionsermittler gehen Medienberichten zufolge auch gegen weitere Personen im Umfeld des Präsidentenstabs vor. So berichtet der über eine Razzia bei einem ehemaligen Berater Selenskyjs im bayerischen Starnberg. Auf Ersuchen des Nabu sollen bayerische Ermittler demnach bereits am 15. Juli das Anwesen von Rostyslaw Schurma durchsucht haben, der als ehemaliger Vizechef des Präsidialamts knapp drei Jahre lang für Wirtschaftsfragen zuständig war. Er wurde im September 2024 entlassen.
Auch ukrainische Medien berichteten in den vergangenen Wochen über mögliche Ermittlungen gegen Schurma in Deutschland. Die Razzia ereignete sich dem -Bericht zufolge nur eine Woche vor der nun rückgängig gemachten Entmachtung der Antikorruptionsbehörden.
Die ukrainische Regierung hatte ihr Vorgehen mit Vorwürfen begründet, die Antikorruptionsbüros arbeiteten ineffizient und seien nicht ausreichend gegen russischen Einfluss geschützt. Anfang vergangener Woche nahm der Inlandsgeheimdienst SBU bei einer Razzia in den Büros der Behörden einen Mitarbeiter fest, dem Spionage für Russland vorgeworfen wird. Das neue Gesetz macht die Behörden zwar wieder unabhängig, sieht aber regelmäßige Lügendetektor-Tests für Mitarbeiter mit Zugang zu geheimen Informationen vor.