Ukrainisches Parlament beendet Unabhängigkeit des Antikorruptionsbüros

Das ukrainische Parlament hat mehreren Antikorruptionsbehörden die Unabhängigkeit entzogen. 263 Abgeordnete stimmten für ein Gesetz, welches das nationale Antikorruptionsbüro sowie die für Korruptionsfälle zuständige Staatsanwaltschaft der Generalstaatsanwaltschaft unterstellt. Damit das Gesetz nach der Billigung des Parlaments in Kraft treten kann, muss es noch von Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnet werden.

Je 13 Abgeordnete stimmten gegen das von Nichtregierungsorganisationen stark kritisierte Gesetz oder enthielten sich. Hintergrund ist das Vorgehen des Inlandsgeheimdiensts SBU gegen das Antikorruptionsbüro. Am Montag hatte der SBU nach eigenen Angaben einen Mitarbeiter der Behörde unter dem Vorwurf der Spionage für Russland festgenommen. 

Der Geheimdienst beschuldigte den Verdächtigen, geheime Informationen an einen Sicherheitsmann des 2014 gestürzten ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch weitergegeben zu haben. Der gegenüber Russlands Staatschef Wladimir Putin loyale Ex-Staatschef lebt seit seiner Flucht 2014 in Russland. 

Zuvor hatte der SBU Räume des Antikorruptionsbüros (Nabu) sowie der auf den Kampf gegen Korruption spezialisierten Sonderstaatsanwaltschaft durchsucht. Das Büro teilte mit, es habe mehr als 70 Durchsuchungen gegeben, die sich gegen mindestens 15 Mitarbeiter richteten. Einen richterlichen Beschluss habe der SBU nicht vorgelegt.

Generalstaatsanwalt erhält weitreichende Kontrolle über Antikorruptionsbehörden

Das Antikorruptionsbüro war 2014 nach der sogenannten Revolution der Würde gegründet worden. Nabu-Chef Semjon Krywonos appellierte an Präsident Selenskyj, das Gesetz nicht zu unterzeichnen und sprach von einem Versuch, die Antikorruptionsbehörden des Landes zu „zerstören“. 

Das vom Parlament beschlossene Gesetz macht sowohl das Nabu als auch die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft von Entscheidungen des Generalstaatsanwalts abhängig. So soll dieser die Befugnisse von Antikorruptionsstaatsanwälten künftig auch weiteren Staatsanwaltschaften übertragen, Einsicht in alle Akten erhalten und diese ebenfalls an weitere Staatsanwaltschaften weiterleiten, Weisungen an das Nabu erteilen und andere Justizbehörden mit Antikorruptionsermittlungen beauftragen können. 

Der Generalstaatsanwalt wird in der Ukraine direkt vom Präsidenten ernannt. Seit 2022 kam es auf dieser Position allerdings zu häufigen Personalwechseln: In den vergangenen drei Jahren hatte das Land drei Generalstaatsanwälte sowie zwei weitere, die den Posten vorübergehend übernommen hatten. Der derzeitige Generalstaatsanwalt Ruslan Krawtschenko hat das Amt erst Mitte Juni übernommen.

EU und G7 kritisieren Vorgehen

Korruption gehört zu den zentralen Problemen der Ukraine, ihre Bekämpfung gilt als Schlüsselbedingung für eine von dem Land erhoffte Aufnahme in die EU. Dementsprechend reagierte die EU besorgt auf das Vorgehen des SBU gegen die beiden Behörden. Sie hätten eine Schlüsselrolle bei den in der Ukraine anstehenden Reformen und müssten in der Lage sein, unabhängig gegen Korruption vorgehen zu können, kritisierte EU-Kommissionssprecher Guillaume Mercier. 

Auch die G7 bekundeten Misstrauen gegenüber dem Vorgang. Die Gruppe aus sieben großen Industrieländern, die eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der Ukraineunterstützung spielt, teilte mit, sie beobachte den Umgang mit der Antikorruptionsbehörde und die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Büros. Vertreter eines von G7-Botschaftern eingerichteten Gremiums trafen sich infolge der Durchsuchungen nach eigener Angabe mit Vertretern der Behörde und wollten nun ihre jeweiligen Regierungen über das Geschehen informieren. 

Der SBU wies indessen Vorwürfe zurück, er habe mit seinem Vorgehen in laufende „operative Maßnahmen“ der Antikorruptionsbehörden eingegriffen. SBU-Mitarbeiter hätten sich bei den Durchsuchungen keinen Zugang zu Informationen darüber verschafft, teilte der Geheimdienst mit. Zudem widersprach der Geheimdienst Vorwürfen, die Durchsuchungen ohne entsprechenden richterlichen Beschluss seien illegal. Das Gesetz erlaube so ein Vorgehen, wenn Grund zur Befürchtung bestehe, dass die Ermittlungen dadurch gefährdet würden.

Die Nichtregierungsorganisation Transparency International sprach nach den Durchsuchungen von einem „Versuch der Demontage des Systems zur Korruptionsbekämpfung“. Sie rief Selenskyj dazu auf, „öffentlich die Unabhängigkeit der Antikorruptionsorgane zu
garantieren“. Zudem appellierte die NGO an den SBU und die
Generalstaatsanwaltschaft, „den gesetzwidrigen Druck einzustellen“.  

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