Detlef Wetzel wirkt müde. „Ich will nicht verschweigen, dass ich es ein bisschen leid bin und auch ein bisschen verbraucht bin“, gibt der langjährige IG-Metall-Gewerkschafter zu, während er am Donnerstag seinen Rücktritt als Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) bekannt gegeben hatte.
24 Jahre lang saß der Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium des größten deutschen Stahlherstellers, nun hält er es nicht mehr aus, genau wie drei weitere Aufsichtsräte. Darunter auch Sigmar Gabriel, bis dahin Aufsichtsratschef des Unternehmens. Auch Mitglieder des Vorstands, darunter Stahl-Chef Bernhard Osburg legten ihre Posten nieder.
Als Grund nennt Wetzel dafür explizit Miguel López, Chef des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, sowie Siegfried Russwurm, seinen Aufsichtsratsvorsitzenden. Mit beiden liegt das Management der Stahlsparte seit Monaten im Clinch über eine geplante Neuaufstellung.
„Alle waren unfähig, alle waren doof. Das war ein Diskussionsniveau unter aller Würde.“ So tief habe er noch nie absteigen müssen in 50 Berufsjahren, schimpft Wetzel. Es sei aber unheimlich schwer, „immer in die unterste Schublade eines Schrankes zu kriechen und dann López und seine Mithelfer dort antreffen zu müssen“.
Zwar sind Chaos und Intrigen seit Jahrzehnten an der Tagesordnung bei Thyssenkrupp, nun aber erreichen die Machtkämpfe einen neuen Höhepunkt. „Einmal Thyssenkrupp mit allem bitte“, kommentiert Personalvorstand Oliver Burkhard im Netzwerk LinkedIn.
Gleichzeitig warnt er davor, Thyssenkrupp abzuschreiben und verspricht, dass „wir es in jedem Fall gemeinsam wieder schaffen, Stahl zukunftsfähig zu machen und dieses Unternehmen zurück auf die Erfolgsspur zu bringen“.
Aufsichtsratschef Russwurm spart nicht an Kritik
Aktuell jedoch deutet darauf nichts hin, zu tief scheinen die Gräben zwischen dem Mutterkonzern und der Stahltochter, zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite. Zumal der angegriffene Aufsichtsratschef Russwurm sich wehrt und die Vorwürfe der abgetretenen Spartenkontrolleure um Wetzel und Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) zurückweist.
Der Manager, der auch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) ist, spart nicht an Kritik: „Die Notwendigkeiten und die Erwartungen an die Geschäftsführung bei Stahl wurden klar adressiert. Leider gab es aber nicht den Fortschritt, der dringend erforderlich ist“, sagt Russwurm WELT AM SONNTAG.
Das betont Russwurm auch in einer eigens veröffentlichten Stellungnahme. „Dem Management von Thyssenkrupp Steel ist es trotz aller anerkennenswerter Anstrengungen nicht nur in den vergangenen Monaten, sondern seit Jahren nicht gelungen, erfolgreich Antworten auf die strukturellen Herausforderungen des Stahlgeschäfts und seine betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zu geben.“
Pläne seien immer wieder „deutlich verfehlt“ worden, das gelte auch für das laufende Geschäftsjahr. Zudem hätten vereinbarte Restrukturierungsprogramme bei Weitem nicht zu den vom Steel-Management in Aussicht gestellten Effekten geführt.
Dazu spricht Russwurm sogar von Fehlinvestitionen. „In den vergangenen Jahren mussten Wertberichtigungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro vorgenommen werden, weil falsch oder schlecht investiert worden war.“ Die Stahlsparte verbrauche laufend Liquidität zulasten seiner eigenen Zukunft, aller anderen Geschäfte und der Eigentümer des Konzerns.
Als Aufräumer hatte Russwurm López ins Rennen geschickt, einen Manager, der wie er selbst eine Siemens-Vergangenheit hat. Und der pflügt seit Mitte letzten Jahres brachial durchs Haus.
Der Konflikt mit der Stahlsparte mit ihren 27.000 Mitarbeitern wirkt da wie die logische Konsequenz dieses Vorgehens. Seit Wochen gibt es Proteste von der Arbeitnehmerseite und laute „López raus“-Rufe – eine Forderung, der sich nun auch der scheidende TKSE-Aufseher Wetzel angeschlossen hat.
Der scheint aber fest im Sattel zu sitzen. López habe seine volle und ganze Rückendeckung, betont Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm gegenüber WELT AM SONNTAG.
„Ohne Folgen wird das nicht bleiben können“
Schon zwei Tage vor der folgenschweren TKSE-Sitzung gab es eine gemeinsame Erklärung, in der Russwurm und Co. López grünes Licht gegeben haben, „notwendige und überfällige Entscheidungen“ bei und für die Stahlsparte voranzutreiben. Kurz darauf soll die Zentrale drei von fünf Stahl-Vorständen Aufhebungsverträge vorgelegt haben, heißt es.
Es handele sich um den Vorstandsvorsitzenden Bernhard Osburg, Produktionsvorständin Heike Denecke-Arnold und Personalvorstand Markus Grolms. Der Aufsichtsrat habe den entsprechenden Aufhebungsverträgen zugestimmt.
Nun müssen die IG Metall und die Arbeitnehmervertreter reagieren. Ein Abwahlantrag gegenüber López wird dabei nicht ausgeschlossen. „Ohne Folgen wird das nicht bleiben können“, sagt jedenfalls Wetzel. Den allerdings dürfte der 59-Jährige überstehen, zumal Russwurm als Aufsichtsratschef eine Doppelstimme besitzt.
Auch Gabriel rechnet nicht mit einem Abgang des Managers, dem er eine „beispiellose Kampagne“ gegen die Stahl-Vorstände vorwirft, einen „schweren Vertrauensbruch“ und sogar „Demütigungen“: „López wird nicht gehen. Wieso sollte Siegfried Russwurm denjenigen rausschmeißen, den er selbst geholt hat?“
Es gebe beim Mutterkonzern offensichtlich eine Strategie, die zu dieser Situation geführt hat. Er glaube sogar, „dass auf der AG-Ebene möglicherweise erstmal Freude ausbricht, dass sich das jetzt alles so darstellt“. Russwurm weist das zurück: „Wir bleiben sachlich. Es geht um Fakten, und selbstverständlich hält sich der Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG an die Regeln des Aktienrechts und guter Corporate Governance.“
Grund für die heftige Auseinandersetzung ist eine geplante Restrukturierung und Verselbstständigung der defizitären Stahlsparte. Dafür sollte der TKSE-Vorstand einen neuen Businessplan erarbeiten und aufzeigen, auf welches Maß die Produktionskapazitäten am Stammsitz in Duisburg zurückgefahren und Arbeitsplätze abgebaut werden müssen.
Diese Pläne gehen López aber nicht weit genug. Streitpunkt ist vor allem die notwendige Mitgift für eine Unabhängigkeit. Zwischen den Vorstellungen beider Seiten liegen angeblich gut eine Milliarde Euro.
Der Staat plant keine weitere Unterstützung. „Die Situation bei Thyssenkrupp hat sich auf allen Seiten sehr unversöhnlich zugespitzt. Das ist kein guter Zustand“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Alle Beteiligten müssten dafür sorgen, dass das Unternehmen jetzt schnell in ruhiges und stabiles Fahrwasser komme. Bund und Land hätten konkrete Unterstützung zur Sicherung des Stahlstandortes Duisburg und Nordrhein-Westfalen geliefert.
„Die Unternehmensseite muss aber eben auch ihren Teil beitragen, damit die Transformation gelingt und eine zukunftsfähige Stahlproduktion am Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert wird.“ Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums erklärte, dass der Staat keinen Einstieg bei Thyssenkrupp plane. „Eine solche Lösung ist zurzeit nicht in der Diskussion.“
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.