T wie Trost

Denkt man an Elon Musk
und Friedrich Merz, fällt einem vermutlich nicht als Erstes das Wort Menschlichkeit ein. Natürlich sind diese beiden Männer zweifellos Menschen, zumindest bei Merz ist man sich sicher, Musk hingegen könnte auch ein ausgedachter Troll sein, so fantastisch wie er sich benimmt, auf X und im wahren Leben. Merz aber redet über bestimmte Menschen nicht immer nett, und Musk handelt gegenüber manchen Menschen nicht immer nett. Zuletzt befassten sich Merz und Musk sogar mit derselben Art von Menschen: Taxifahrern. 

Elon Musk
möchte sie zum Verschwinden bringen, seine neueste unmenschliche Schöpfung hat er gerade enthüllt: das Robotaxi. Ein glattes, glänzendes, lenkrad-,
pedal- und vor allem fahrerloses Auto, das einen per KI und Kamera von A nach B
bringt. Kein Small Talk, kein Blickkontakt im Rückspiegel, völlig leblos. Perfekt,
oder?

Friedrich Merz hat da gewiss erleichtert aufgeatmet. Der Kanzlerkandidat der Union hat
zuletzt in einem Interview gesagt, dass er, wäre er eine Frau (witzige Vorstellung!), wahrscheinlich nicht
in ein Taxi steigen würde, das von einem Mann mit Palästinensertuch gefahren werde.
Wegen mangelnden Selbstbewusstseins der Frauen und mangelnden Respekts der
Taxifahrer und so. Künftig muss Merz dank Musks Robotaxis um die Frauen keine Angst mehr haben.

Aber nun mache
ich mir Sorgen. Um uns Menschen. Denn wer schon öfter mit einem Taxi gefahren
ist, weiß: Eine Taxifahrt ist nicht nur eine Fahrt. Es ist das letzte
Überbleibsel echter spontaner menschlicher Begegnung in einer Welt, in der man
durch Selbstbedienungskassen, KI-Chatbots und automatische Telefonansagen jegliche
Interaktion mit Mitmenschen verlieren kann.

Selbstverständlich können Taxifahrer auch unglaublich nerven. Manche haben einen Fahrstil, als befänden sie sich auf einer Verfolgungsjagd, sie wären dabei nicht die Polizei, und man selbst, auf der Rückbank hin und her fliegend, wäre die Beute eines Raubüberfalls. Manche scheinen auch schwerhörig zu sein, das Radio laut, die Bitte um Leiserstellen überhörend. Von manchen will man auch wirklich lieber nicht wissen, was sie so über die Welt und die Menschen denken.

Da hält dein Taxi

Aber stell dir
vor, du kommst um 2 Uhr nachts aus Büro oder Bahnhof in einer Großstadt, die Augen müde, der
Kopf pochend, es ist schon viel zu spät, und es regnet. Du könntest jetzt
versuchen, den einzigen Nachtbus zu erwischen, um zwischen knutschenden, in Alkopop
getränkten Teenies stundenlang durch die Stadt zu fahren. Du könntest verzweifeln
und einfach im Regen stehen bleiben. Da hält dein Taxi. Der Fahrer öffnet den
Kofferraum, hebt, dem Regen trotzend, dein Gepäck hinein, du sinkst in warmes
quietschendes Leder, es riecht nach Leben, das sich mit den Jahren auf den
Sitzen festgesetzt hat. Kalter Zigarettenrauch von ganz früher, Schweiß und ein bisschen Eau de
Cologne. Eine tröstliche Mischung. Das Auto brummelt los, und obwohl ihr euch
nicht kennt, der Taxifahrer und du, teilt ihr diesen Moment, eine kleine Reise durch die Nacht.

Während der
Taxifahrer den Verkehr beobachtet, liest er die Stimmung auf der Rückbank:
Reden oder lieber nicht? Und wenn ihr redet, dann erzählst du dem Fahrer
vielleicht Dinge, die du selbst deinem Therapeuten nicht sagen würdest. Ein
Taxi ist ein rollender Beichtstuhl. Denn wenn du aussteigst, bleibt der Fahrer sitzen – mit deinen
Geschichten. Und ich habe gehört, es gibt ein Taxifahrerethos: Was im Taxi
passiert, bleibt im Taxi. Eine Art Schweigepflicht, kein einziges Wort aus einem
Kundengespräch darf weitererzählt werden.

Ein
geschützter Raum entsteht. Schutz vor Regen, Nacht und Unsicherheitsgefühlen in
leeren Straßen. Schutz für Lästern mit Freunden, fürs Weinen, für selbst nach
Alkopops Knutschen, für schief zu Enya Singen, fürs Loslassen, fürs Erschöpftsein. Im Taxi darf man alles – außer kotzen. Und über allem der versichernde
Blick des Fahrers, mal in den Rückspiegel, dann diskret wieder weg: Alle sind
noch da, allen geht es gut.

Immer sind
Taxifahrerinnen und Taxifahrer für uns da. Sie nehmen Spätschichten und Rückenschmerzen
und verpasste Feiertage für uns auf sich. Wo gibt es das heute noch, das Versprechen,
immer da zu sein, und dann erreicht man sie tatsächlich, sie erscheinen pünktlich,
und dann sind sie so richtig da. Nicht am Handy – meistens. Und nicht mit den
Gedanken woanders.

Sie retten
uns aus jeder erdenklichen Situation: Das Airbnb liegt
meilenweit von jeglichem ÖPNV? Ruf Ulf an. Das Kartenlesegerät funktioniert
nicht, der Geldautomat auf der Strecke auch nicht?
Kein Problem, dann war das eben eine Gratisfahrt. Taxifahrer klingeln einen
sogar mitten in der Nacht wach, damit man den Flug nach New York nicht
verpasst. Alles so passiert.

Die
Robotaxis werden uns eines fernen Tages wortlos abliefern wie Ware. Für
manche mag das ein Fortschritt sein. Aber was
passiert, wenn die einzige Stimme, die du am Ende hörst, ein körperloses, programmiertes
Scheppern ist, das sagt: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“? Robotaxis bringen uns vielleicht ans Ziel, aber sie werden
uns nie nach Hause bringen können. Dazu gehört doch so viel mehr, es geht um
Wärme, um Aufgehobensein.

Stell dir
vor, du steigst in eines dieser glänzenden Robotaxi-Fahrzeuge, schließt die Tür und
merkst – du bist allein. Es ist 2 Uhr morgens, es regnet, und obwohl dich das
Auto vor deiner Haustür absetzt, wirst du einsamer ankommen, als du es vorher
warst. Man will doch wenigstens jemandem einen schönen Feierabend wünschen. Und
ein freundliches „Gute Nacht!“ zurück hören.

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