Bekommt die Ukraine aus Deutschland die Unterstützung, die sie dringend braucht? Und: Kann oder will der Bundeskanzler sie überhaupt leisten? Darüber ist in der verbliebenen Koalition aus SPD und Grünen kurz vor der Wahl ein heftiger Streit ausgebrochen.
Hintergrund: Verteidigungsminister Boris Pistorius, SPD, hatte gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock, Grüne, kurz nach dem Ampel-Aus den Plan gefasst, der Ukraine über die bereits beschlossenen Maßnahmen hinaus Militärhilfen in Höhe von drei Milliarden Euro zukommen zu lassen. Und zwar noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar. Olaf Scholz legte allerdings sein Veto ein, die Sache wurde durch einen Bericht im öffentlich, obwohl Vertraulichkeit vereinbart war – und nun werfen sich Grüne und SPD wechselseitig vor, auf dem Rücken der Ukraine Wahlkampf zu betreiben. Die SPD glaubt, die Grünen hätten den Vorgang an die Öffentlichkeit durchgestochen. Die, wenig überraschend, bestreiten das.
Die Auseinandersetzung ist verworren, weil sie drei Dimensionen hat: eine militärische, eine finanzielle und eine politische.
Keine Verwendungsmöglichkeit für weiteres Geld?
Was das Militärische angeht, wird im Kanzleramt darauf verwiesen, dass für die Verteidigung der Ukraine im laufenden Haushalt bereits vier Milliarden Euro reserviert seien, hinzu kämen die Zinserträge aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen, die die internationale Staatengemeinschaft dem angegriffenen Land übertragen hat. Die Ukraine könne mit den drei Milliarden Euro zusätzlich, die Baerbock und Pistorius primär für Luftabwehrsysteme, Raketen und Artilleriemunition einsetzen möchten, im Moment überhaupt nicht viel anfangen, weil die Rüstungsfirmen bis Herbst 2027 voll ausgelastet seien und kurzfristig nicht mehr Gerät liefern könnten. Also müsse man die Gelder auch nicht bewilligen.
Die Grünen dagegen argumentieren, eine Aufstockung der Mittel sei angesichts der Lage an der Front in der Ukraine nicht nur nötig, sondern auch ein wichtiges Signal, um den kommenden US-Präsidenten auf dem Kurs der bisherigen Unterstützung zu halten. Außerdem könnten die Rüstungsunternehmen ihre Kapazitäten auch ausweiten, wenn mehr Aufträge kämen. Die Ukraine selbst jedenfalls hätte die Mittel gern, Pistorius war diese Woche in Kyjiw und hat der Regierung dort Unterstützung über die Bundestagswahl hinaus zugesichert.
Das Problem ist nur: Eigentlich ist für zusätzliche Hilfen im Moment kein Geld da, jedenfalls auf den ersten Blick. Der Ampel ist es schließlich nicht gelungen, einen Haushalt für 2025 aufzustellen. Deshalb wird im Moment eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung praktiziert. Das bedeutet: Die Koalition ist zwar weiterhin zahlungsfähig und kann zum Beispiel Renten und Sozialleistungen überweisen. Sie soll, beziehungsweise darf, aber grundsätzlich keine neuen Verpflichtungen eingehen, die die Steuerzahler belasten.
Lindner würde ein neues Hilfspaket wohl mittragen
Das müsste sie allerdings gar nicht. Denn auch im Rahmen einer vorläufigen Haushaltsführung können unvorhergesehene Ausgaben getätigt werden, die „zur Wahrung wesentlicher Interessen des Staatswohls unabweisbar sind“, wie es im Bundesfinanzministerium heißt. Eine solche „außerplanmäßige Ausgabe“ kann das Ministerium bewilligen. Es wird nach Christian Lindners Ausscheiden von Jörg Kukies geführt, einem Sozialdemokraten und Scholz-Vertrauten. Lindner selbst hat diese Woche signalisiert, dass seine Partei ein neues Hilfspaket im Bundestag mittragen würde, denn ab einer Summe von 100 Millionen Euro ist die Zustimmung des Haushaltsausschusses des Parlaments nötig
Mit anderen Worten: Der Weg für eine Ausweitung der Unterstützung der Ukraine wäre rein haushaltstechnisch betrachtet frei.
Aber da ist noch die dritte, politische Dimension. Olaf Scholz sagt, er wolle die nächste Regierung nicht durch Vorfestlegungen binden, was die Grünen ihm allerdings nicht abnehmen. Sie vermuten, dass es ihm in Wahrheit um den Wahlkampf geht. Eine der zentralen Botschaften der SPD lautet schließlich, man dürfe soziale und militärische Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen. Die Rente nicht gegen die Hilfe für die Ukraine, den Verteidigungsetat nicht gegen den Sozialetat. Weil die Freigabe neuer Mittel zu einer Debatte darüber führen könne, wer das alles denn eigentlich bezahlen soll, habe der Kanzler die drei Milliarden blockiert, so erzählen es führende Grüne. Nach dem Motto: weniger Geld für die Ukraine gleich mehr Stimmen für die Sozialdemokratien.
Doch kein Wahlkampf auf Kosten der Ukraine?
Im Kanzleramt wiederum weist man das zurück. Wenn dem so wäre, so heißt es dort, warum betone dann der Kanzler bei jedem Wahlkampfauftritt, dass Deutschland nicht nur der größte europäische Unterstützer der Ukraine sei, sondern dies auch bleiben werde? Der Vorwurf, der Kanzler würde auf Kosten der Ukraine Wahlkampf betreiben, sei vollkommen haltlos – und in Wahrheit ein Wahlkampfmanöver des politischen Gegners.
Wie der Streit zwischen SPD und Grünen ausgeht, war bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe am Dienstagabend noch nicht abzusehen. Klar ist: Wenn zwei Kanzlerkandidaten sich aus taktischen Gründen zoffen, freut sich der dritte, Friedrich Merz. Und die vierte, Alice Weidel.