Stille Bilder, die laut sprechen

Herausragende Bilder, die festhalten, was die Welt bewegt: Mehr als 59.000 Aufnahmen haben die Jurys des World Press Photo Awards in diesem Jahr gesichtet, um die besten Arbeiten zu prämieren – eingereicht von 3.778 Fotografinnen und Fotografen aus 141 Ländern. Die Preise sind diesmal noch zahlreicher als sonst, die Auswahl ist eine Herausforderung, die ersten Entscheidungen lösten gar eine Kontroverse aus.

Als Ende März die vielen regionalen Gewinnerinnen und Gewinner in den diversen Kategorien bekannt gegeben wurden, wurde die Jury dafür kritisiert. Unter anderem, weil erstmals seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine wieder russische Fotografen ausgezeichnet wurden, noch dazu ein Mitarbeiter der staatlichen Agentur TASS, die doch klar Teil von Wladimir Putins Propagandamaschine ist. Für eine Aufnahme von regierungskritischen Protesten in Georgien – ausgerechnet. Hinter den Bildern steckt eben oft mehr als das, was sie zeigen. Die Verantwortlichen kündigten deshalb an, an ihren Regeln arbeiten zu wollen. Für dieses Jahr stehen jetzt auch die Gewinnerinnen und Gewinner der Hauptpreise fest.

Ein Bild der palästinensischen Fotojournalistin Samar Abu Elouf ist das Pressefoto des Jahres. Im Dezember 2023 verließ sie den Gazastreifen, lebt seither in Doha, der Hauptstadt Katars. Dort richtet sie ihren Blick vor allem auf die Kinder, die dem Krieg in ihrer Heimat entfliehen konnten, wie sie selbst. Die es geschafft haben, zumindest wenn es darum geht, medizinische Behandlung zu finden. Der neunjährige Mahmoud Ajjour lebt mit seiner Familie im selben Appartementkomplex wie die Fotografin, wurde auf der Flucht vor einem israelischen Angriff in Gaza-Stadt im März 2024 schwer verletzt, verlor beide Arme.

„Dies ist ein stilles Foto, das laut spricht“, sagt die Direktorin der World Press Photo Foundation, Joumana El Zein Khoury. Es erzähle die Geschichte eines Jungen, aber auch die eines größeren Kriegs, der sich über Generationen auswirken werde. Im 70. Jahr des Wettbewerbs, wenn sie ins Archiv blicke, sehe sie „zu viele Bilder wie dieses“.

„Das Leben dieses Jungen verdient es, verstanden zu werden“, sagt die Juryvorsitzende Lucy Conticello. Es leiste, was großartigen Fotojournalismus ausmache: einen vielschichtigen Einstieg in eine komplexe Geschichte zu bieten – und den Anreiz, sich mit ebendieser Geschichte länger zu befassen.

Zwei weitere Finalisten werden in diesem Jahr ausgezeichnet. John Moore, US-amerikanischer Fotograf der Agentur Getty Images, hielt an der mexikanischen Grenze eindrücklich den Weg chinesischer Migranten in die Vereinigten Staaten fest. Keine exotische Ausnahme, eher ein Trend, angetrieben von wirtschaftlichen Schwierigkeiten in China, gerade auch nach der Coronapandemie. Und beeinflusst durch fragwürdige Videoanleitungen auf chinesischen Social-Media-Plattformen, die ebendies vermitteln: Wie man am besten über die Grenze kommt.

Der mexikanisch-peruanische Fotograf Musuk Nolte verbindet Dokumentarisches mit Künstlerischem und widmet sich sozialen Themen, etwa auch den Folgen von Umweltveränderungen insbesondere in der Andenregion und am Amazonas. Dazu gehört auch das als Finalist ausgezeichnete Bild eines jungen Mannes, der mit Lebensmitteln auf dem Weg zu seiner Mutter ist. Das Dorf Manacapuru in Brasilien, wo sie lebt, war einst mit dem Boot zu erreichen. Heute muss er zwei Kilometer durch ein ausgetrocknetes Flussbett in der Amazonasregion laufen, die doch eigentlich für den weltgrößten Regenwald steht – ein harter Gegensatz.

„Die Welt ist nicht mehr dieselbe wie 1955, als World Press Photo gegründet wurde“, sagt die Direktorin der World Press Photo Foundation, Joumana El Zein Khoury. Es sei so einfach wegzuschauen, weiterzuscrollen, sich abzukoppeln. Aber eben nicht bei den prämierten Bildern aus sechs Weltregionen, die den Betrachtenden dazu zwängen, „zu erkennen, was sich abspielt, selbst wenn es unbehaglich ist, selbst wenn es uns dazu bringt, die Welt, in der wir leben, infrage zu stellen – und unsere eigene Rolle darin“.

Auswahl weiterer Preise in den Regionalkategorien:

Afrika, Einzelfotos: Temiloluwa Johnson (Nigeria)

Afrika, Stories: Aubin Mukoni (Demokratische Republik Kongo)

Afrika, Langzeitprojekte: Cinzia Canneri (Italien)

Asien-Pazifik und Ozeanien, Stories: Noel Celis (Philippinen)

Asien-Pazifik und Ozeanien, Stories: Ye Aung Thu (Myanmar)

Asien-Pazifik und Ozeanien, Langzeitprojekte: Tatsiana Chypsanava (Belarus)

Europa, Einzelbilder: Nanna Heitmann (Deutschland)

Europa, Stories: Rafael Heygster (Deutschland)

Europa, Einzelbilder: Florian Bachmeier (Deutschland)

Europa, Stories: Aliona Kardash (Russland)

Nord- und Zentralamerika, Stories: Rebecca Kiger (USA)

Nord- und Zetralamerika, Einzelbilder: Jabin Botsford (USA)

Nord- und Zentralamerika, Langzeitprojekte: Carlos Barrera (El Salvador)

Südamerika, Stories: Amanda M. Perobelli (Brasilien)

Südamerika, Stories: Santiago Mesa (Kolumbien)

Südamerika, Langzeitprojekte: Federico Ríos (Kolumbien)

Südostasien, Einzelbilder: Suvra Kanti (Bangladesch)

West-, Zentral- und Südasien, Stories: Kiana Hayeri (Kanada)

West-, Zentral- und Südasien, Stories: Ali Jadallah (Palästina)

West-, Zentral- und Südasien, Langzeitprojekte: Ebrahim Alipoor (Iran)