Spotify zerstört den Wert der Musik. Das können wir ändern.

Das Schlaraffenland gibt es nicht. Und wer jemals mit einem kleinen Kind vor einem riesigen Süßigkeitenregal im Supermarkt gestanden hat, weiß: Es wäre auch kein Ort, an dem man leben möchte. Am Ende der Regalreihe wartet nicht der Seelenfrieden, sondern der Nervenzusammenbruch. Doch das Überangebot an Möglichkeiten – eine Variante knalliger als die andere und doch alle irgendwie gleich – führt nicht nur Kinder an den Rand des Wahnsinns. Nicht nur am Bonbonregal, auch bei Spotify, Netflix und Co. Deren Versprechen ist klar: eine schier unendliche Auswahl, jeden Tag neu zusammengestellt, basierend auf dem, was uns gestern gefallen hat und vorgestern, an einem ganz normalen Montag, am vergangenen Weihnachten. So treiben wir uns das Unerwartete aus. Denn das kennt der Algorithmus von Spotify nicht. Der versteht nur, was ich irgendwann einmal zufällig gewollt habe. Und überhaupt versteht Spotify erstaunlich wenig. Zum Beispiel, dass Musik einen Wert hat.

Die meisten wissen längst, dass Musikerinnen und Musiker durch Streaming kaum fair bezahlt werden. Die genauen Beträge variieren je nach Quelle, bewegen sich aber fast immer im 0,000-Bereich pro gestreamtem Song. Und doch streamen wir, als wüssten wir es nicht besser, mehr denn je. Mit einem Marktanteil von 85 Prozent des weltweiten digitalen Musikmarkts (und immer noch 67,5 Prozent des gesamten) ist das Flatrate-Modell absoluter Marktführer in Sachen Berieselung.

Gewiss, Musikschaffende haben heute mehr als nur eine Einnahmequelle. Taylor Swift etwa hat mit ihrer Tour kürzlich erst über zwei Milliarden US-Dollar eingespielt. Und dann gibt es da noch den viel beschworenen „Vinyl-Boom“, der alle möglichen Leute reflexartig bedauern lässt, dass sie ihre Plattensammlungen vor zwanzig Jahren weggeschmissen haben. Ja, es gibt einen spürbaren Anstieg der Vinyl-Verkäufe in den vergangenen zehn Jahren – von rund 200 Millionen US-Dollar im Jahr 2011 auf mehr als eine Milliarde US-Dollar im Jahr 2021. Meine Plattenfirma Clouds Hill profitiert davon, denn die Gewinnmargen bei Vinyl sind vergleichsweise hoch. Doch schaut man genau hin, relativiert sich dieser Boom: Der Vinyl-Umsatz von 2021 entsprach gerade einmal 4 bis 5 Prozent des CD-Umsatzes im Jahr 1999, als die CD mit einem inflationsbereinigten Spitzenwert von 23,7 Milliarden US-Dollar den US-Musikmarkt dominierte. Selbst digitale Downloads, obwohl seit Jahren rückläufig, lagen im Jahr 2021 mit knapp 600 Millionen US-Dollar Umsatz immer noch nicht weit hinter den Vinyl-Verkäufen zurück. Der Vinyl-Trend ist real, wirtschaftlich bleibt er eine Nische. Und gesellschaftlich spielt er, gemessen an früheren Formaten, kaum eine Rolle.

Ganz im Gegensatz zum Streaming, dessen Siegeszug bis ins letzte Kinderzimmer hat vergessen lassen, dass man sich noch vor gar nicht allzu langer Zeit entscheiden musste, welche Musik man hören und damit kaufen möchte – und welche nicht. Und dass genau diese bewusste Entscheidung für ein Lied oder ein Album eine merkbare Veränderung im Leben einer Musikerin oder eines Musikers dargestellt hat: eine angemessene Bezahlung.

Stellen Sie sich einen Supermarkt vor, in dem Sie für zehn Euro im Monat alles mitnehmen dürfen, wonach Ihnen gerade ist. Überquellende Regale, zehn Sorten saure Gummischnüre, zwanzig Varianten Schokopuddings, Milch, Brot und Steaks, so weit das Auge reicht – alles nahezu umsonst. Hin und wieder kommt eine Mitarbeiterin des Supermarkts vorbei und wirft Ihnen ein Tortenstückchen direkt in den Mund. Hey, Alexa: irgendwas Süßes. Irgendwas!

Nein: Musikstreaming hat nichts mit der Idee eines gemeinsamen kulturellen Eigentums zu tun. Der Nutzer zahlt regelmäßig, besitzt aber nichts; er hat keine Kontrolle, keinerlei garantierte Zugriffsmöglichkeiten. Ist der Dienst offline oder läuft die Lizenz aus, verschwindet auch der Zugang zur Musik. Musik wird flüchtig, und wir Konsumenten werden vollständig von den großen Tech-Plattformen wie Spotify oder Apple abhängig. Selbst der CO₂-Fußabdruck kann durch Musikstreaming heute höher ausfallen als in Zeiten physischer Tonträger.

Nun denkt die eine oder der andere von Ihnen vielleicht, dass Musikstreaming doch eine durchaus angenehme Entwicklung war. Ungefähr so angenehm wie fließendes Wasser aus dem Hahn, Strom aus der Steckdose oder Fitnessstudios für 20 Euro im Monat. Musik ist aber etwas anderes – und Kunst wird nicht besser, nicht schöner und schon gar nicht begehrenswerter, wenn sie zur standardisierten Massenbilligware wird. Ganz gewiss kein neues Klagelied, aber eines, für das es immer neue Anlässe gibt. Heute geht es nicht nur um die Angst vor einem neuen Medium, sondern um die Veränderung unserer Grundeinstellung zu Musik. Wie konnte es so weit kommen?

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