Gerade mal 77 Tage bleiben ihm für ein echtes Wunder. SPD Generalsekretär Matthias Miersch ist der Wahlkampfchef von Olaf Scholz (66, SPD). Die SPD dümpelt elf Wochen vor der Bundestagswahl bei 16 Prozent in den Umfragen. Die Union mit Friedrich Merz ist doppelt so stark.
BILD: Herr Miersch, was wetten Sie darauf, dass Olaf Scholz Kanzler bleibt?
Matthias Miersch: „Ich wette grundsätzlich nicht. Aber ich bin ganz davon überzeugt, dass er Kanzler bleibt.“
Wie erklären Sie sich dann, dass Olaf Scholz der unbeliebteste Kanzler ist?
Miersch: „Ich glaube schon, dass Leute von ihm erwartet haben, teilweise mehr noch mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Ich glaube, das werden die Leute jetzt im Wahlkampf sehen. Da steht jemand, der seine Grundprinzipien hat.“
Auf Ihren Wahlplakaten verspricht die SPD: „Wir kämpfen für dich“. Lassen Sie uns mal konkret werden. Was tun Sie für Familien mit Kindern?
Miersch: „Wir wollen die 95 Prozent, die jeden Tag hart arbeiten und dieses Land am Laufen halten, die wollen wir steuerlich entlasten. Und wir wollen das eine Prozent, von dem Herr Merz sagt, das seien die Leistungsträger, die wollen wir steuerlich belasten.“
Das ist ab einem Jahreseinkommen von 180.000 Euro als Single?
Miersch: „In diesen Größenordnungen. Wir werden dieses Konzept genau vorstellen, dann kann jeder das selbst nachrechnen.“
Jetzt stöhnen gerade Familien mit Kindern, dass vieles teurer wird, gerade auch Lebensmittel. Was können die erwarten?
Miersch: „Ich arbeite im Moment an einem Konzept, was die Umsetzung des Bürgerrats beinhaltet: ein kostenfreies Mittagessen in den Schulen für alle.“
In Deutschland gibt es 8,8 Millionen Schüler.
Ab der ersten Klasse bis hoch zum Abitur?
Miersch: „Das wird noch feinjustiert werden. Das ist ja auch eine Frage, die der Bund mit den Ländern zusammen managen muss. Aber die Idee ist tatsächlich ein kostenfreies Essen an den Schulen, weil es gesundheitliche Folgekosten, die die Volkswirtschaft augenblicklich trägt, verhindert. Der Bürgerrat hat hier sehr weise entschieden.“
Der Bürgerrat des Bundestages (zufällig ausgeloste Bürger, die das Parlament in konkreten Fragen beraten) verweist in seiner Empfehlung für kostenfreies und gesundes Essen in Schulen auf eine Studie aus NRW. Dort konnte die Verteilung von Wasser Übergewicht bei Schülern um 30 Prozent reduzieren.
Sie meinen, dass Kinder durch falsche Ernährung krank werden, dick werden, zu dünn sind?
Miersch: „Genau. Aber es ist auch eine Frage von Integration. Gemeinsam zu essen ist ein Wert an sich. Da ist ganz, ganz viel soziale Gerechtigkeit mit drin.“
Schulen sind ja eigentlich Ländersache, aber das Bezahlen übernimmt dann der Bund?
Miersch: „Wir wissen um die Finanzquellen der Länder. Insofern wird dieses Konzept eine Gegenfinanzierung beinhalten, sodass hier nicht einseitig die Länder belastet werden.“
Wissen Sie schon ungefähr, wie teuer das wird?
Miersch: „Nein, aber wir gehen davon aus, dass es ein Milliardenbetrag ist.“
Fakt ist: Ab Januar wird das Leben für die Menschen teurer. Die Sozialbeiträge steigen, die versprochenen Steuerentlastungen und die Kindergelderhöhung kommen nicht, weil die Ampel vorher krachen gegangen ist. Das Deutschlandticket wackelt.
Miersch: „Vorsicht! Dass das nicht kommt, ist für mich noch nicht ausgemacht. Jetzt ist Friedrich Merz an der Verantwortung, zu sagen: Wollen wir für Familien die steuerliche Entlastung noch auf den Weg bringen? Wollen wir das Kindergeld erhöhen? Wenn wir uns darüber einig sind, bringt es nichts, damit zu warten oder irgendwie Wahlkampf zu machen. Das verstehen Bürgerinnen und Bürger nicht. Insofern meine Aufforderung hier an Friedrich Merz, aber auch an Christian Dürr (FDP-Fraktionschef, d.R.), wirklich im Sinne der Bevölkerung Verantwortung zu übernehmen.“
Wie viel Entlastung würde das für eine Durchschnittsfamilie überhaupt bedeuten?
Miersch: „Je nach Verdienst, aber wir befinden uns im dreistelligen Betrag.“
Keiner will so richtig mit Scholz regieren. Die FDP hat eine erneute Koalition unter ihm als Kanzler ausgeschlossen. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und die Grünen flirten öffentlich miteinander.
Miersch: „Na ja, das sind die beliebten Koalitionsspielchen. Ich muss allerdings auch sagen: Mit den handelnden Personen der FDP kann ich mir im Moment nichts mehr vorstellen, da ist jegliches Vertrauen verloren gegangen. Aber ich konzentriere mich darauf, jetzt den Wahlkampf zu führen. Dann hoffe ich, dass wir stärkste Kraft sind. Und dann wollen wir mal gucken, was geht.“
Wie schmutzig wird der Wahlkampf?
Miersch: „Ich hoffe, dass er fair bleibt. Aber wir haben jetzt schon als SPD erlebt, dass das schmutzig werden kann. Wir haben eine Kampagne gegen uns erlebt, wo behauptet wurde, dass wir 100 Frauen rekrutieren gegen Friedrich Merz. Das ist bei Focus Online erschienen. Die Twitterblasen von CDU, CSU sind angesprungen. Das muss allen eine Lehre sein. Und deswegen habe ich auch die Generalsekretäre der anderen demokratischen Parteien eingeladen, um über ein Fairnessabkommen nachzudenken und letztlich zu beschließen. Das würde ich mir jedenfalls wünschen, dass wir wirklich ein gewisses Niveau in diesem Wahlkampf nicht verletzen.“
Haben Sie schon eine Reaktion von Ihren Kollegen?
Miersch: „Alle haben sich bereit erklärt, sich darüber auszutauschen. Das werden wir in der kommenden Woche tun.“
Werden Sie auch auf den Weihnachtsmärkten Wahlkampf machen?
Miersch: „Das obliegt den Wahlkämpfern. Aber man muss immer aufpassen, an welchen Stellen man wie Wahlkampf macht. Dass ich nicht in den Gottesdienst gehe mit meinem Flyer, das steht fest.“