So viele Abschiebungen wie seit 2018 nicht mehr – Großbritanniens neue Härte

Mit Video- und Fotomaterial will die britische Regierung ihr hartes Durchgreifen gegen illegale Zuwanderung und ungesetzliche Beschäftigungsverhältnisse von Zuwanderern unterstreichen.

In dem im Laufe des Montags veröffentlichten Material wird unter anderem der streng bewachte Einsteigevorgang bei einem Abschiebeflug gezeigt. Außerdem wurden zahlreiche Details zu jüngsten Razzien in Unternehmen veröffentlicht.

„Plan for Change“ heißt das Programm, das die Labourpartei zu ihrem Amtsantritt im Juli vorgestellt hat. Dabei liegt ein Fokus auf dem Arbeitsmarkt und illegalen Beschäftigungsverhältnissen.

Allein im Januar seien 828 Razzien durchgeführt worden, ein Plus von 73 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 609 Personen seien dabei festgenommen worden, sagte Innenministerin Yvette Cooper. Nagelstudios, Autowaschanlagen, aber auch Lagerhäuser gehören zu den Bereichen im Land, in denen das Problem illegaler Beschäftigung besonders virulent ist.

„Einwanderungsregeln müssen eingehalten und durchgesetzt werden“, sagte Cooper. Viel zu lange hätten Arbeitgeber illegale Migranten eingestellt und ausgebeutet, zu viele Menschen seien illegal ins Land gekommen und würden arbeiten, ohne dass Maßnahmen dagegen ergriffen würden.

Auch bei den Abschiebungen greift Labour im Rahmen des „Plan for Change“ durch. 18.987 Menschen mussten seit dem Amtsantritt der Partei im vergangenen Sommer das Land verlassen, so viele wie seit 2018 nicht. Darunter befanden sich ausländische Straftäter, aber auch Menschen, deren Antrag auf Asyl nicht erfolgreich war oder die kein gültiges Visum für einen Aufenthalt verfügten.

In 5074 Fällen wurde die Ausreise in dem Zeitraum zwangsweise durchgesetzt; in den zwölf Monaten zuvor waren es nur 4089 gewesen. Unter den Ausgewiesenen befanden sich 2925 Straftäter. Die meisten Betroffenen reisen aber freiwillig aus. Wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben, können sie bis zu 3000 Pfund (3600 Euro) Starthilfe in ihrem Heimatland erwarten.

Die unzureichende Durchsetzung der geltenden Regeln unter der konservativen Vorgängerregierung habe nicht nur dazu geführt, dass immer mehr Menschen versuchten, in Booten über den Ärmelkanal zu kommen und sich so in Lebensgefahr begeben, sagte Cooper.

Das Manko habe auch zur Ausbeutung schutzbedürftiger Menschen, zum Missbrauch des Einwanderungssystems und zum Schaden für die Wirtschaft geführt. „Deshalb verstärken wir im Rahmen unseres ‚Plans for Change‘ die Durchsetzung der Regeln auf ein Rekordniveau – zusammen mit neuen Gesetzen, um kriminelle Banden zu zerschlagen, die die Grenzsicherheit untergraben und bisher zu lange ungestraft davongekommen sind.“

Mit dem Fokus auf öffentliche Ordnung und strikte Durchsetzung von Regeln versucht sich die Labour-Regierung auch von der rechten Reform-Partei von Nigel Farage abzusetzen. Die Reform-Partei, seit der Wahl mit fünf Abgeordneten im Parlament vertreten, stellt Fragen rund um die Zuwanderung besonders in den Vordergrund.

Die Reform-Partei von Nigel Farage gewinnt an Zustimmung

In der Wählergunst konnte die Reform-Partei zuletzt kontinuierlich zulegen. In einer aktuellen YouGov-Umfrage von Anfang Februar setzte sich die Partei mit 25 Prozent Zustimmung erstmals vor Labour (24 Prozent) und die Konservativen (21 Prozent) an die Spitze. Parlamentswahlen finden in Großbritannien turnusgemäß erst wieder im Sommer 2029 statt.

Die Kampagne sei eine klare aktivistische Strategie als Antwort auf den Aufstieg der Reform-Partei in den Umfragen, sagte Enver Solomon, Chef des Refugee Council. „Und sie hat einen Hauch von Panik an sich.“ Es fehle ihr an Mitgefühl und Verständnis.

Neu für Großbritannien ist die Praxis, Abschiebungen mit Videos und Fotos öffentlich zu dokumentieren. Solche Bilder kennt man allerdings aus den USA. In der Labourpartei gab es Kritik an dem Vorgehen.

Naturgemäß sind Daten zur illegalen Beschäftigung im Land schwer zu schätzen, denn in Großbritannien gibt es keine Ausweis- oder Meldepflicht. Eine umfangreiche Untersuchung aus dem vergangenen Herbst, an der Forscher von 18 Universitäten mitgearbeitet haben, schätzt die Zahl auf 594.000 bis 745.000, darunter auch Opfer von Menschenhandel und moderner Sklaverei.

Das Pew Research Center schätzte diese Gruppe im Jahr 2017 auf 800.000 bis 1,2 Millionen Menschen, das entspräche bis zu 1,8 Prozent der Bevölkerung.

Weißbuch zur Verringerung der legalen Zuwanderung in Arbeit

In den vergangenen Monaten hat die Regierung bereits Kampagnen auf Social Media gestartet, die in Ländern wie Vietnam und Albanien gezeigt werden und auf das Los von Migranten hinweisen, die illegal ins Land gekommen sind, um dann Opfer von Ausbeutung und Verschuldung zu werden.

Aber nicht nur die illegale Zuwanderung hat die Labourpartei im Blick. Für März oder April ist ein Weißbuch geplant, in dem Vorschläge zur Verringerung der legalen Zuwanderung ausgearbeitet werden sollen. Nach dem Brexit hat das Land ein Punkte-basiertes Visa-System eingeführt, das direkt auf fehlende Kapazitäten im Arbeitsmarkt reagiert. Außerdem kommen in großer Zahl Studenten ins Land.

Im bisherigen Spitzenjahr, den zwölf Monaten bis Mitte 2023, kamen im Rahmen dieses Visa-Regimes über 900.000 Zuwanderer ins Land, mehr als dreimal so viele wie vor dem Brexit. In der Bevölkerung hat das Thema Migration, das nach dem Brexit-Referendum einige Jahre keine große Rolle gespielt hat, wieder deutlich an Bedeutung gewonnen.

Wirtschaftsunternehmen sind aber oft direkt auf die Zuwanderer angewiesen, weil es an einheimischen Fachkräften mangelt. Ärzte und Pflegepersonal, Bauingenieure, Bergbau-Experten, IT-Spezialisten, aber auch Köche und Braumeister gehören zu den Berufsgruppen, die sehr gute Chancen auf eine Arbeitserlaubnis haben.

Auch die Universitäten sind direkt auf ausländische Studierende angewiesen, da deren Studiengebühren einen erheblichen Teil der Finanzierung ausmachen.

Claudia Wanner schreibt von London aus für WELT über die Wirtschaft in Großbritannien.

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