Da hatte sich was aufgestaut!
Am Montag brach er los, der große Sturm: Mit Fackeln und Transparenten zogen Tausende Arbeiter des Weltkonzerns VW vor die Werkszentralen in Wolfsburg, Zwickau, Dresden, Osnabrück, Betriebsratschefin Daniela Cavallo (49) wetterte: Das Management wolle mindestens drei von zehn deutschen Werken schließen, Zehntausende VWler feuern, für den Rest die Löhne um bis zu 18 Prozent kürzen. Der Vorstand habe „alles angezündet, alles in Flammen gesetzt“. Cavallo auf den Barrikaden: „Niemand von uns kann sich hier noch sicher fühlen!“
Und sie hat recht: Gesamt-Konzernboss Oliver Blume (56, Chef aller 13 Marken) will bei Volkswagen aufräumen. GRÜNDLICH!
Und so bricht er am Ende dieser Krisenwoche mit einem Konzern-Tabu: Er prangert gegenüber BILD am SONNTAG historische Fehler an: „Die schwache Marktnachfrage in Europa und deutlich gesunkene Erträge aus China legen jahrzehntelange strukturelle Probleme bei VW offen.“
„JAHZEHNTELANG“! Die Wortwahl ist bemerkenswert. Offen dabei: Meint er auch die massive Einmischung der Politik? Denn die sitzt seit 1960 (VW-Gesetz) mit am Ruder bei den Wolfsburgern.
Folge: Die Weltmarke Volkswagen hat die Volkskrankheit. Zu viel Fett angesetzt, unbeweglich, kurzatmig. Diagnose: miese Werte, die Pumpe schwächelt!
Bilanz von Gesamtkonzern-Chef Blume: So kommt die Welt-Marke nicht mehr vorwärts! Blume zu BILD am SONNTAG: „Das gehen wir jetzt konsequent an.“ Der Gesamtkonzern-Chef: „Unsere Kosten in Deutschland müssen massiv runter.“
VW sei in der Heimat schlicht zu teuer: „Unser Arbeitskostenniveau ist beispielsweise hier oftmals mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt unserer europäischen Standorte. Auch bei unseren Entwicklungs- und Vertriebskosten und in weiteren Kostenbereichen besteht im Wettbewerbsvergleich ebenso Handlungsbedarf.“
Eigentlich, so der Konzern-Boss, stehe VW gut da: „Der Konzernumsatz liegt aktuell leicht über dem Vorjahr – unsere neuen Produkte kommen super an, was der Anstieg des Auftragseingangs im dritten Quartal belegt.“
Doch diese Power reiche eben nicht mehr, um das Marken-Dickschiff VW sicher durch die Wellen zu bringen: „Das operative Ergebnis steht aber nach neun Monaten, gerade wegen der hohen Kosten, enorm unter Druck und ist um mehr als 20 Prozent gesunken.“
So wurde VW in die Krise geführt
Die Fehlerliste der vergangenen Jahre, die VW in die tiefste Krise seiner Geschichte führte, wiegt milliardenschwer:
► Für den Diesel-Skandal unter Firmen-Patriarch Winterkorn zahlte VW weltweit 32 Milliarden Euro!
► Herbert Diess, (67, VW-Chef von 2018 bis 2022) warf das Plattform-Modell von VW (eine Basis für viele) über den Haufen. Folge: Irre Entwicklungszeiten, seit fast zehn Jahren wurde nicht ein neues VW-Modell pünktlich fertig. Der ID.3, das erste E-Auto, kam Jahre zu spät und unfertig mit Hunderten bekannten Mängeln auf den Markt. Das viel zu komplizierte Touch-Menü des E-Pioniers wurde trotzdem in alle Folge-Modelle gestopft – auch in den Golf.
Der Golf 8 (2019) wurde der erste Golf ohne irgendeine Neuerung an Bord.
Statt IT-Wissen über den Zukauf von Firmen einzukaufen, stampfte VW-Chef Diess eine eigene Software-Schmiede aus dem Boden, ließ 10.000 (!) Experten einstellen. Folge: Die wackelige VW-Software-Architektur ist nicht konkurrenzfähig, trotz enormer Personalkosten!
Die Folge: An diesem Mittwoch präsentierte VW neue Zahlen. Wieder waren die mies: 64 Prozent Gewinneinbruch, das Ergebnis im laufenden Geschäft schmolz um 42 Prozent.
Deshalb will Blume die Sanierung jetzt durchziehen: „Das Ziel für Kosten- und Kapazitätsanpassung steht.“ Nur der Weg dorthin sei „flexibel gestaltbar“.
„Wir müssen von unseren Kosten runter“
Blume hat die Kriegs- und Krisenkassen reichlich gefüllt. BILD weiß: 900 Millionen Euro hat er für sein Herkules-Programm gebunkert!
Und so soll der Um- und Abbau laufen:
► Einstellstopp
► weniger Azubis
► Stellen werden nicht nachbesetzt, wenn Kollegen in Rente gehen („maximale Nutzung der demografischen Kurve“)
► Ausweitung der Altersteilzeit: Frührente schon für den Jahrgang 1967
► fette Abfindungs-Pakete
► Ruhestandsregelungen für die Jahrgänge 1961-1964
► weniger Bonus-Zahlungen („Neuausrichtung Tarif Plus“). Brisant: Denn bisher brüsteten sich Unternehmen und Politik stets damit, dass der halbstaatliche Konzern teils 20 % über Tarif zahlt!
► Einschnitte auch bei „indirekten Personalkosten“ – etwa Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, Zuschüsse zu Bahn-Kosten. Selbst die Werksauto-Rabatte (Jahreswagen) stehen im Feuer.
► Rund 10.000 Mitarbeitern, die kurz vor Betriebsjubiläen stehen, soll der Treue-Bonus gestrichen werden (bis zu drei Monatsgehälter).
► Wer seinen Job verliert, dem bietet VW in einer „Perspektivwerkstatt“ Beratungs-, Vermittlungs- und Qualifizierungsangebote.
Zudem sollen „Material- und Produktkosten optimiert, Fix- und Fertigungskosten reduziert werden“, so ein VW-Sprecher. Heißt mal wieder: Die Zulieferer müssen mit billiger werden! Zudem sollen die „Erlöse im Vertrieb gesteigert werden“. Heißt: Kosten und Provisionen runter oder Auto- und Werkstattpreise Preise rauf.
VW-Personalvorstand Gunnar Kilian (49) spricht gegenüber BILD am SONNTAG von „einer historischen Weichenstellung für Volkswagen“. Die Richtung sei klar: „Wir müssen von unseren Kosten runter.“
Dafür fordert der Manager von der Belegschaft „die Bereitschaft, Einschnitte hinzunehmen“. Nur so könne VW „Investitionen in starke Autos, an denen unser Erfolg und damit unsere Arbeit hängen“ stemmen.
Seine Diagnose: „Der europäische Automobilmarkt stagniert. Besonders die Nachfrage nach Elektroautos, gerade in Deutschland, ist viel zu schwach. Überkapazitäten in unseren Werken sind die Folge.“
Der Personalchef: „Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und zügig den Umbau angehen.“
Die gesamte Auto-Branche habe aktuell zu kämpfen, so Kilian. „Volkswagen hat aber das Potential, die Kehrtwende dieses Negativtrends einzuleiten.“
Heißt: Volkswagen kann wieder zum Deutschland-Motor werden.