Der Weg in Richtung Front führt an Baggern vorbei, die neue Verteidigungsanlagen errichten, bereits 30 Kilometer vor der Kampfzone. Das klarste Zeichen dafür, worauf sich die Ukraine vorbereitet – worauf sie sich vorbereiten muss.

Von einem möglichen Front-Durchbruch ist die Rede, von vergleichsweise schnellen russischen Fortschritten. Ein Alptraum.

Wir sind im Donbas, um Soldaten zu treffen, die sprechen wollen über ihren Kampf. Auch deshalb, weil die Lage immer düsterer, immer schwieriger wird. Weil sie sich im Stich gelassen fühlen. Vom Westen, aber auch von der eigenen Regierung.

Russische Streitkräfte rücken dramatisch vor

Russland macht teilweise erhebliche Fortschritte, von mehreren hundert Quadratkilometern Frontgewinn allein im November ist die Rede. „Die russischen Streitkräfte sind in letzter Zeit deutlich schneller vorgerückt als im gesamten Jahr 2023“, heißt es in einem Bericht von Analysten des Institute for the Study of War in Washington.

Wir treffen Offizier Andrij (52) von der 68. Brigade in Donezk in der Region Pokrowsk.

Seit acht Monaten ist seine Brigade hier, sie kontrollieren 15 Kilometer Front, aber so heftig wie jetzt war es noch nie.

„Vielleicht hat das etwas mit den US-Wahlen zu tun“, sagt Andrij, „sie haben uns mit menschlichen Wellenangriffen überrollt. Wir konnten bis zu 30 russische Soldaten pro Tag töten. Im Sommer haben wir ihre Rotation gespürt. Sie zogen alte Einheiten ab und brachten neue. Die neuen Einheiten begannen sofort mit Angriffen – massiver Artilleriebeschuss, dann versuchten sie, unsere Stellungen zu durchbrechen und einzunehmen.“

Bei der Ukraine fehlt es an allem. Andrij sagt: „Wir haben nicht genug Leute, nicht genug Waffen, nicht genug Munition.“

Und die Russen kämpfen mittlerweile auf einem anderen Niveau. „Die Russen haben ihre Taktik im Vergleich zum letzten Jahr geändert. Sie haben FPV-Drohnen, reguläre Drohnen. Sie kämpfen auf demselben Niveau wie wir. Sie haben gelernt. Ihre heutige Taktik ist: Sie finden unsere Stellungen und beschießen sie massiv. Manchmal treffen sie, und das ist für uns sehr schmerzhaft. Nach dem Beschuss schicken sie eine Erkundungsangriffsgruppe von drei bis fünf Soldaten.“

Ukraine-Offizier: „Der Krieg befindet sich in einer Sackgasse“

Was die Ukrainer an dieser Front brauchen: Infanterieminen, Raketen, Munition.

Andrij: „Im Vergleich zu den Russen sind wir in der Anzahl der Geschütze und Munition erheblich unterlegen. Wenn sie zehn bis 15 Mal schießen, schießen wir drei bis fünf Mal. Wir haben deutlich weniger Granaten.“

Unter den Soldaten wird längst offen diskutiert, was in den nächsten Wochen passieren kann, was geschieht, wenn Donald Trump als US-Präsident seine zweite Amtszeit beginnt.

Andrij sagt: „Meiner persönlichen Meinung nach befindet sich der Krieg in einer Sackgasse. Und in den letzten drei bis vier Monaten waren wir gezwungen, uns zurückzuziehen. Die Russen haben das Tempo erhöht, und sie haben die Mittel, um weiterzumachen. Sie haben Leute, und sie sind uns zahlenmäßig überlegen. Wir müssen diesen Krieg beenden. Wir müssen verhandeln, aber wir wollen unser Territorium nicht aufgeben.“

Die Frage ist: Zu welchem Preis könnte verhandelt werden?

Genau das ist das Problem für die ukrainische Politik in diesen Wochen. Zwar gibt es mehr Stimmen, die verhandeln wollen, aber die Frage ist, zu welchem Preis.

Laut Nachrichtenagentur „Reuters“ ist Russlands Präsident Wladimir Putin bereit für Verhandlungen mit Trump. Putin besteht aber darauf, dass die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete weiterhin unter der Kontrolle des Kremls bleiben. Dies betreffe die Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Die anonymen Quellen berichten jedoch von einem gewissen Verhandlungsspielraum.

Eine weitere Bedingung betrifft wohl die Ambitionen der Ukraine, dem Nato-Verteidigungsbündnis beizutreten. Für einen Frieden im Abwehrkampf gegen die russischen Invasionstruppen müsse das Land diese Ambitionen aufgeben. Stattdessen wolle Russland Verhandlungen über Sicherheitsgarantien für die Ukraine aufnehmen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (46) hat Gebietsabtretungen, wie sie Russland jetzt fordert, bisher strikt abgelehnt.

Er will zwar keine formellen Gebietsabtretungen akzeptieren, aber die vorübergehende Kontrolle einzelner Regionen durch Russland hält er für denkbar. „Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wieder herzustellen“, sagte Selenskyj im Parlament in Kiew. Bezüglich des geforderten Endes des Nato-Beitritts der Ukraine sagte Selenskyj bereits Anfang November, dass ein Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien „Nonsens“ sei. „Ein Waffenstillstand wird dann kommen, wenn der Staat, der im Krieg ist, besonders das Opfer, weiß, dass es Sicherheitsgarantien haben wird“, sagte Selenskyj auf einer Pressekonferenz in Budapest.