Die
SPD-Politiker, die ein sogenanntes Manifest für eine Wende in Außen- und
Sicherheitspolitik verfasst haben, haben durchaus recht, in einigen Punkten:
Man muss über die Politik der Bundesregierung gegenüber der Ukraine und
Russland streiten können. Schließlich gibt es keine einfachen, restlos überzeugenden Antworten auf den
Krieg. Die Sanktionen gegen Moskau – gerade arbeitet die EU am mittlerweile 18.
Paket – haben Wladimir Putin nicht zum Einlenken bewegt, ja nicht einmal wie
erhofft geschwächt. Das Geld und die Waffen, die man der Ukraine liefert, tragen zwar dazu bei, dass ein überfallener Staat überleben kann. Aber den Krieg, der Woche für Woche Tote fordert, haben sie
nicht beendet.
Falsche Antworten auf diesen Krieg, die gibt
es allerdings. Und eine solche liefern die sogenannten SPD-Friedenskreise mit
ihrem „Manifest“ selbst. Die Sehnsucht nach Frieden und einer
Verständigung mit Russland, die ihre Zeilen durchzieht, ist zwar verständlich.
Doch sie verkennen darüber das real existierende Russland, das unter Putin
längst nicht nur die Ukraine, sondern Europa ins Visier genommen hat, oder
womöglich schlimmer noch: Sie erkennen diese Realität, aber ignorieren sie.
Sie irren jedenfalls, weil sie auf eine
Gesprächsbereitschaft Putins setzen, die man sich zweifelsfrei wünscht – wer
tut das nicht? –, aber die dieser partout nicht zeigt. Gesprächsangebote der
Europäer, der Ukrainer, der US-Regierung von Donald Trump, der Putin weit
entgegenkommt, hat er ausgeschlagen, ja vielmehr noch als Zeichen der Schwäche
gedeutet. In Istanbul kamen die
Verhandler nicht über technische
Gespräche auf unterer Ebene hinaus. Derweil überzieht Russland Kyjiw, Charkiw
und andere Teile der Ukraine in diesen Tagen mit einigen der schwersten
Angriffe seit dem Überfall im Februar 2022 – das Ziel ist die Zivilbevölkerung.
Gespräche zu führen ist und bleibt richtig, allerdings darf man die Augen nicht
vor der Realität der russischen Kriegsführung verschließen. Eine
„schrittweise Rückkehr zur Entspannung der
Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland“, die sich die SPD-Autoren
wünschen, sie wirkt ferner denn je. Nicht nur wegen des Krieges in der Ukraine, sondern auch weil
Russland seit Jahren Deutschland mit hybriden Angriffen ins Ziel nimmt und
extreme Kräfte wie die AfD unterstützt.
Die Autoren stiften Verwirrung
Statt diese Entwicklungen zu benennen, ist das Manifest durchzogen von Rückgriffen
auf den Helsinki-Prozess und auf Abrüstungsgespräche zwischen dem damaligen
US-Präsidenten Ronald Reagan und dem sowjetischen KP-Generalsekretär Michail
Gorbatschow. Doch die Vorstellungswelt der Siebziger- und Achtzigerjahre
verstellt den Blick auf jenes Russland, das Putin in den vergangenen Jahren zu
einer imperialistischen Macht formte, das seine Grenzen mit Gewalt ausweitet.
Das Wunschdenken treibt seltsame Blüten: Warum nur wird als ein erster Schritt
der Annäherung ausgerechnet eine Zusammenarbeit bei der Cybersicherheit
vorgeschlagen, wenn doch allseits bekannt und dokumentiert ist, wie unablässig
Einheiten der russischen Dienste Hackerangriffe auf die deutschen demokratischen Institutionen ausführen, etwa auf den Bundestag und auch auf die Parteizentrale der SPD?
Immerhin räumen die Autoren ein, dass
Deutschland eine verteidigungsfähige Bundeswehr brauche, dass Europa
sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit erreichen müsse. Nur wie, wenn sie
eine Politik der Aufrüstung ausdrücklich ablehnen und die anvisierte Erhöhung
der Verteidigungsausgaben als irrational bezeichnen? Was soll das für die
Bundeswehr, die etwa laut dem Heeresinspekteur Alfons Mais im Fall eines russischen Angriffs immer noch blank dastünde, nur bedeuten?
So stiften die Autoren Verwirrung, wo
Klarheit gefragt ist. Bedauerlicherweise durchzieht das Schreiben ein Raunen
über die deutsche Politik, das aus der Feder von Abgeordenten einer Regierungspartei erstaunt. Es hätten sich hierzulande „Kräfte durchgesetzt, die
die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen“. Sie schreiben, ein „Zwang
zu immer mehr Rüstung zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg wird
beschworen.“ Welche ominösen Kräfte meinen sie? Sind es Ihre Genossinnen
und Genossen, die zusammen mit der Union eine demokratisch gewählte Regierung
bilden? Meinen sie mit den Beschwörungen eines „angeblichen drohenden Krieges“
die übereinstimmenden Warnungen der Geheimdienste, Russland rüste für einen
konventionellen Angriff auf weitere europäische Staaten binnen weniger Jahre?
In der Sache völlig daneben
Die Genossen rund um Ex-Fraktionschef Rolf
Mützenich und Außenpolitiker Ralf Stegner gehen damit in direkten Widerspruch
zum Kurs der schwarz-roten Regierung. SPD-Chef Lars Klingbeil, der die alte
Russlandpolitik seiner Partei korrigieren wollte, muss darauf rasch eine
Antwort finden. Bundeskanzler Friedrich Merz, der sich sehr viel Geld
gesichert hat, um als zentrales Projekt seiner Amtszeit Deutschlands
Verteidigungsfähigkeit herzustellen, muss ebenfalls gewarnt sein. Fünf
Unterzeichner des „Manifests“ sitzen für die SPD im Bundestag, Merz‘ Mehrheit ist dünn.
Gewiss, aus der Binnenlogik der SPD-Parteipolitik
mag das Papier Sinn ergeben: Da meldet sich eine linke
Strömung zu Wort, die in der SPD und bei ihren Wählern durchaus viele Anhänger
hat und von Parteichef Klingbeil kaum bedacht wird. Deren Vertreter sich wie Mützenich (ebenfalls von Klingbeil beiseitegeschoben) seit Jahrzehnten
als Friedenspolitiker begreifen. Und da ist der nahende Parteitag der
Sozialdemokraten, vor dem man die Diskussion beeinflussen will. Das trifft
alles zu, doch ändert es nichts daran, dass die SPD-Politiker in der Sache völlig
daneben liegen.