Es ist eine der hässlichsten Seiten des Fußballs!

Schiedsrichter stehen häufig im Mittelpunkt des Spiels und nach der Partie auch in der Kritik. In einem Vortrag an der Deutschen Sporthochschule in Köln, den der „General-Anzeiger“ verfolgte, sprach Bundesliga-Schiedsrichter Sascha Stegemann (37) nun über konkrete Morddrohungen und Wochen unter Polizeischutz – nach dem Revierderby zwischen Bochum und Dortmund (1:1) am 28. April 2023.

Einen Tag nach dem hitzigen Spiel steht abends die Polizei vor der Haustür des Schiedsrichters. Stegemann: „Sie hätten konkrete Morddrohungen gegen meine Familie und mich erhalten.“

Was war der genaue Auslöser?

Freitagabend, 20.30 Uhr in Bochum. Der VfL empfängt den BVB zum Derby. Die Schwarz-Gelben sind Spitzenreiter, können mit einem Sieg den ersten Verfolger Bayern München weiter unter Druck setzen – und der lang ersehnten ersten Meisterschaft nach elf Jahren einen Schritt näher kommen.

Beim Stand von 1:1 wird Adeyemi in der 65. Minute im Strafraum von Brandt angespielt. Bochums Soares grätscht ihn rücksichtslos um, hat schon gelb. Schiedsrichter Stegemann lässt weiterspielen, auch der VAR schaltet sich nicht ein – eine klare Fehlentscheidung! Strafstoß und gelb-rot wären folgerichtig gewesen.

Stegemann verrät in dem Vortrag an der Universität seine Wahrnehmung: „Adeyemi hat den Fuß herausgestellt, um einen Elfmeter zu provozieren. Aber bei einem Lehrgang hatten wir unter anderem gesagt, dass wir gesuchte Kontakte nicht noch mit einem Strafstoß belohnen.“ Der Videoassistent gab ihm keinen Hinweis, die Entscheidung steht.

Die Partie endet 1:1. Für Bochum ein wichtiger Punktgewinn und der Beginn der großen Aufholjagd hin zum fast unmöglich scheinenden Klassenerhalt. Dortmund verspielt dagegen die Tabellenführung.

In der Kabine angekommen, schaut Stegemann als Erstes auf sein Handy, und sieht eine Nachricht seiner Frau Eva. Sie schreibt: „Mein Gott, sie zerreißen dich.“ Hintergrund: in den Sozialen Netzwerken beleidigen BVB-Fans den Schiedsrichter, sind sauer über seine Entscheidung.

Stegemann schaut sich die Szene sofort an und erkennt: „Ich hatte einen Wahrnehmungsfehler. Ich hatte mich nur auf den Dortmunder Stürmer konzentriert, hatte das unkontrollierte Hereinspringen des Bochumer Verteidigers total ausgeblendet.“

Am Tag danach steht für Stegemann eigentlich ein Ausflug mit seinem Sohn (3) an. Stattdessen erklärt er sich in der Öffentlichkeit, zeigt Größe, entschuldigt sich sogar für seine Fehlentscheidung.

Abends klingelt es plötzlich an seiner Haustür – und die Polizei berichtete ihm von den Morddrohungen. In dem Moment sei sein Sohn reingekommen und habe gefragt: „Papa, die nehmen dich aber doch nicht mit, weil du gestern Stress auf der Arbeit hattest?“

Stegemann steht von da an rund vier Wochen unter Polizeischutz. In dieser Zeit denkt er an einen Rücktritt, dann macht der Fifa-Schiedsrichter aber doch weiter und pfeift weiterhin Spiele in der Bundesliga.