Wenn sich sogar der britische Premierminister im Unterhaus über
eine Rock-’n‘-Roll-Band und deren Ticketpreise
äußert, muss das alles endgültig zu einem Politikum geworden sein. Keir Starmer
also sagte am Mittwoch, es sei zwar großartig, dass
Oasis und damit die auf possierliche Weise ewig zerstrittenen Gallagher-Brüder
Noel und Liam nach 15 Jahren wieder zusammengefunden hätten. „Die Hälfte
des Landes“, sagte Starmer, „scheint für Karten angestanden zu haben“,
als am vergangenen Wochenende im Netz der Vorverkauf begann für die Konzerte,
die die Band im kommenden Jahr in London, Manchester, Cardiff und Edinburgh,
aber auch im irischen Dublin spielen wird. Doch es sei „deprimierend“,
von erheblichen Preissteigerungen zu hören, sagte Starmer: „Ich fühle mich
verpflichtet, die Fans wieder in den Mittelpunkt der Musik zu stellen und
Wucherpreise beim Wiederverkauf von Konzertkarten zu verhindern.“ Der
Premierminister kündigte schließlich an, seine neue Labour-Regierung werde nun über
ihr weiteres Vorgehen beraten.
Auch wenn sich seit dem Wochenende bereits
verschiedene Unterhausabgeordnete öffentlich über die Umstände des
Oasis-Ticketverkaufs empört geäußert haben und auch wenn die Aussagen Starmers
auf eine Nachfrage einer Abgeordneten seiner eigenen Fraktion im Unterhaus
zustande kamen und darum einen Hauch von abgesprochener Inszenierung hatten: wie man im englischen Sprachraum zu sagen pflegt.
In der Sache geht es weniger um die Grundpreise, die
am zurückliegenden Samstag beim Verkaufsstart der Oasis-Tour online aufgerufen
wurden, obwohl die mit umgerechnet knapp 160 Euro pro Stehplatzkarte für den
britischen Teil der Tour bereits happig waren. Die eigentliche Aufregung lösten Preissteigerungen aus, die während des
Verkaufsprozesses auf der Website des von Oasis beauftragten
Konzertkartenanbieters Ticketmaster am Samstag plötzlich aufgerufen wurden:
Statt den ursprünglichen 160 Euro sollten die
Leute, die stundenlang in der virtuellen Warteschlange herumgestanden hatten,
plötzlich 400 Euro und mehr für dieselbe Karte zahlen.
Diese Art der organisierten schockartigen Inflation
nennt man Dynamic PricingDas ist eine Geschäftsstrategie der Preisgestaltung
für Konzertkarten, die in den USA seit ein paar Jahren recht gängig ist,
insbesondere bei ganz großen Musikacts. Sie folgt einer simplen und nun
wirklich altbekannten kapitalistischen Logik: Man lässt die Nachfrage den Preis
regeln, hier nun äußerst flexibel und unmittelbar. Bei einem starr begrenzten
Angebot wie der Menge an Tickets, die man für ein Konzert verkaufen kann, bis
es dann auch wirklich ausverkauft und die Kapazitätsgrenze des
Veranstaltungsorts erreicht ist, können da schon mal Mondpreise zustande
kommen. Allein durch Zusatzkonzerte lässt sich die Ticketmenge erhöhen, und
Oasis kündigten dann auch gleich zwei weitere Termine im Londoner
Wembleystadion an – vermutlich eher nicht, um großherzig die Preise für alle
zu senken, sondern um die ganz offensichtlich gewaltige Nachfrage nach
Oasis-Tickets noch ein bisschen mehr zu bedienen. Die Karten für die
Zusatztermine sollen nun gestaffelt und nur unter denjenigen Interessenten
verlost werden, die sich schon für Karten angestellt hatten. Wie fair!
Als jemand, der
Oasis in den Neunzigerjahren mehrmals live gesehen und vor allem gehört hat:
Die Band klang damals im Konzert schauderhaft, und das kann nicht daran gelegen
haben, dass Oasis‘ Tonleute vor lauter Gitarrenlärm vielleicht irgendwann taub
geworden waren. Womöglich waren Oasis zumindest damals einfach eine schlechte
Liveband. Und nicht jeden Eintrittspreis wert. Aber vielleicht haben Oasis ja in den 15 Jahren ihres etwas dazugelernt.
Falsch vorausgedacht
Nun muss man Keir Starmers Aussage vom gestrigen
Mittwoch genauer betrachten. Denn sie ist entweder missverständlich, oder der
britische Premier hat sich schlicht versprochen, als er von „Wucherpreisen
beim Wiederverkauf von Konzertkarten“ redete, gegen die man vorgehen wolle.
Am möglichen Wiederverkauf bereits erworbener Oasis-Tickets hat sich die
Empörung nämlich gerade nicht entzündet. Die Band hat in wohl gedacht weiser
Voraussicht die Möglichkeit von extremen Preissteigerungen beim
Wiederverkauf verhindert, indem sie den nur auf von ihr lizenzierten
Plattformen zuließ und nur zum ursprünglich gezahlten Preis – anderswo und zu
anderen Preisen weitergegebene Karten, so teilten es Oasis auf X nach dem
Verkaufsstart mit, würden ungültig.
Tatsächlich aber dürfen die Gallagher-Brüder nun
feststellen: Die oft irren Preise, die Weiterverkäufer auf dem organisierten
Graumarkt von Plattformen wie Viagogo verlangen, sind bloß der vorletzte
Publikumsaufreger im Konzertgeschäft. Der neueste sind eben die
Preissteigerungen durch Dynamic Pricing beim Erstverkauf. Und davon kann
sich eine Band im Unterschied zum Graumarkt, auf den sie allenfalls mit der von Oasis gewählten Methode der Weiterverkaufkontrolle Einfluss hat, eben nicht distanzieren.
Oasis haben ganz offenkundig Dynamic Pricing zugelassen beim Ticketverkauf für ihre Reunion-Tour, obwohl die Band in einer
Presseerklärung am gestrigen Mittwoch genau das bestritten hat: Sie
habe „zu keinem Zeitpunkt irgendeine Kenntnis davon gehabt, dass Dynamic Pricing benutzt werden würde“, heißt es da. Und weiter: „Es muss
klargestellt werden, dass Oasis Entscheidungen zum Ticketing und Konzertpreisen
ihren Konzertveranstaltern und ihrem Management überlassen.“ Die Bösen
sollen also nun die anderen sein, obwohl man doch davon ausgehen sollte, dass
die reformierte Band gelegentlich und gar bei einer solch bedeutsamen
Angelegenheit mit ihrem Management kommuniziert. Immerhin lassen Oasis nun
mitteilen, Kenntnis über Meetings zwischen ihrem Management und Ticketmaster
erlangt zu haben, und dass diese Treffen angeblich prima verlaufen seien. Aber,
ach, wie so häufig soll das Scheitern lediglich an der Ausführung gut gemeinter Pläne
liegen: „Alle involvierten Parteien haben ihr Äußerstes gegeben, um eine
bestmögliche Fan-Experience zu gewährleisten, doch aufgrund der beispiellosen
Nachfrage war es unmöglich, dies zu erreichen.“ Nun soll also die
unerwartete Masse der Oasis-Fans schuld sein? mit dieser
Argumentation. Erst einmal wird es dabei bleiben: Die Gallaghers zahlen den
symbolischen Preis, öffentlich als Raffzähne dazustehen.