Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Verbündeten in einer kämpferischen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat aufgefordert, Russland mit militärischer Stärke zu einem Kriegsende zu zwingen. Dieser Krieg könne nicht durch Gespräche beruhigt werden, sagte Selenskyj. Er fügte hinzu: „Es muss gehandelt werden.“ Der russische Präsident Wladimir Putin „hat so viele internationale Gesetze und Regeln gebrochen, dass er nicht von alleine damit aufhören wird. Russland kann nur zum Frieden gezwungen werden, und genau das ist nötig.“
Selenskyj zeigte sich dabei außerordentlich skeptisch, mit Russland über ein Ende des andauernden Angriffskrieges auf sein Land zu verhandeln. Russland begehe ein internationales Verbrechen. „Deshalb kann dieser Krieg nicht einfach verschwinden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock skizzierte in ihrer Rede wesentliche Eckpunkte für mögliche Friedensverhandlungen.
Während der Ukrainer sprach, blätterte der russische Botschafter Wassili Nebensja demonstrativ in seinen Unterlagen und schaute auf sein Handy. In seiner Rede verspottete der russische Vertreter Selenskyj: Der ehemalige Schauspieler „spiele die Rolle des coolen Typen“. Unter ihm sei die Ukraine zu einer „Ein-Mann-Diktatur“ geworden. Auf dem Schlachtfeld stehe die ukrainische Armee kurz vor dem völligen Zusammenbruch. Das hörte der Ukrainer schon gar nicht mehr – er hatte den Saal etwa eine Stunde vorher verlassen.
Baerbock fordert Garantie für Unabhängigkeit der Ukraine
Selenskyj dankte „allen Nationen, die wirklich auf eine Weise helfen, die das Leben unserer Menschen rettet“. Er wisse, „dass manche Menschen auf der Welt mit Putin reden wollen“, sagte der Präsident. „Aber was könnten sie schon von ihm hören? Dass er verärgert ist, weil wir unser Recht ausüben, unser Volk zu verteidigen? Oder dass er den Krieg und den Terror weiterführen will, nur damit niemand denkt, er hätte Unrecht?“ Dies sei verrückt. Putin habe „so viele internationale Normen und Regeln gebrochen, dass er nicht von sich aus damit aufhören wird“, sagte Selenskyj.
Vor seiner USA-Reise hatte Selenskyj Erwartungen an einen seit Wochen angekündigten „Siegesplan“ geweckt, dessen Details er zuerst US-Präsident Joe Biden vorstellen will. Die einzelnen Schritte, die Selenskyj vorschlagen will, sind bislang nicht bekannt. Dazu gehört aber die Forderung nach einem Nato-Beitritt der Ukraine, wie Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak bei einem Auftritt in New York sagte. Ein weiterer „obligatorischer Punkt“ sei, dass die Ukraine auf dem Weg zu einem Frieden keine vorübergehende russische Besatzung ihrer Gebiete akzeptieren werde. Das teilte das Außenministerium in Kiew mit. Russland müsse vollständig aus dem international anerkannten Hoheitsgebiet der Ukraine abziehen. Russland hält etwa ein Fünftel des Nachbarlandes besetzt und beansprucht mindestens fünf Verwaltungsgebiete im Südosten des Landes und die schon 2014 annektierte Halbinsel Krim.
Militärisch bittet die Ukraine seit Monaten die USA darum, die Beschränkungen für den Einsatz gelieferter Waffen bis mehrere hundert Kilometer tief nach Russland hinein aufzuheben. Dort liegen Munitionsdepots, Kommandostellen und Luftwaffenstützpunkte, von denen aus russische Kampfjets zu Bombenabwürfen auf die Ukraine starten.
Außenministerin Baerbock beschrieb vor dem Sicherheitsrat ihre Sicht auf ein mögliches Kriegsende: „Frieden bedeutet, dass die Existenz der Ukraine als freies und unabhängiges Land garantiert ist. Es bedeutet Sicherheitsgarantien“, sagte die Grünenpolitikerin. „Wenn wir von Frieden sprechen, meinen wir, dass es sich um einen gerechten und dauerhaften Frieden handeln muss“, sagte Baerbock und fügte hinzu: „Wenn wir über Frieden sprechen, bedeutet das für die Ukraine, dass sie sicher sein kann, dass das Ende der Kämpfe nicht eine weitere Runde von Vorbereitungen in Russland bedeutet.“ Dies betreffe sowohl die Ukraine als auch Moldau oder Polen. Frieden müsse gerecht und dauerhaft sein.
Großbritannien: Russland ist ein Mafiastaat
Der britische Außenminister David Lammy wandte sich direkt an Putin und sagte in die Kamera: „Ihre Invasion dient Ihrem eigenen Interesse, nur Ihrem, um Ihren Mafiastaat zu einem Mafiaimperium auszubauen, einem Imperium, das auf Korruption aufgebaut ist und das russische Volk ebenso wie die Ukraine ausraubt“. Dieses Imperium Putins gründe sich auf Lügen und verbreite im In- und Ausland Desinformationen, um Unruhen zu stiften.
US-Außenminister Antony Blinken forderte ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Unterstützer Russlands im Ukrainekrieg und mahnte die Einhaltung der Prinzipien der UN-Charta an. Frankreichs neuer Außenminister Jean-Noël Barrot sagte, für die von Russland begangenen Verbrechen dürfe es keine Straflosigkeit geben.
Der chinesische Außenminister Wang Yi rief dazu auf, stärker auf Friedensverhandlungen in der Ukraine hinzuarbeiten. „Dringendste Priorität ist es, drei Prinzipien einzuhalten: keine Ausweitung des Kampfgebiets, keine Eskalation der Kämpfe und keine Provokation durch irgendeinen Beteiligten.“ Je mehr Waffen auf die Schlachtfelder geschickt würden, desto schwerer sei das Ziel eines Waffenstillstands zu erreichen.
In der Ukraine gingen die Kämpfe unterdessen weiter. Durch den Einschlag mehrerer russischer Gleitbomben in der ostukrainischen Großstadt Charkiw gab es zivile Opfer. „Die Ziele russischer Bomben sind ein Wohnhaus, eine Brotfabrik, ein Stadion. Das heißt, das normale Leben einfacher Leute“, schrieb Selenskyj auf Telegram. Mindestens drei Menschen seien getötet worden. Außerdem gebe es 34 Verletzte. Bürgermeister Ihor Terechow sprach von Bombeneinschlägen in vier Stadtvierteln und von zwei beschädigten Hochhäusern. Die Millionenstadt Charkiw liegt nur etwas mehr als 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt und wird nahezu täglich vom russischen Militär mit Raketen und Bomben angegriffen.