Rewe plant den Supermarkt der Zukunft – das kommt bald auf Kunden zu

Mehr „Jacobs Krönung“ passt nicht ins Kaffee-Regal in der kleinen Supermarkt-Filiale von Rewe Rahmati auf der Dürener Straße in Köln. Offenbar erwartet dort Rewe-Kaufmann Rahmati viel Nachfrage an einem Mittwoch Anfang September. Jacobs gehört laut dem Marktforschungsunternehmen Kantar zu den beliebtesten Kaffee-Marken in Deutschland und wurde gerade noch zum Aktionspreis angeboten.

Es sind aber nicht nur diese beiden naheliegenden Anhaltspunkte, die hinter der Regalmengenplanung für die kleine Stadtteil-Filiale stehen. Auch eine Vielzahl anderer Faktoren ist wichtig – vor allem aber Technik.

„Software, Algorithmen und künstliche Intelligenz sorgen für eine passgenaue Planung“, sagt Claus Deichsel, Direktor Retail Technology bei Rewe. Das System wird mit zahllosen Daten gefüttert. Der Computer rechnet aus, welche Mengen je Produkt und Tag voraussichtlich benötigt werden. Und zwar für alle rund 3800 Rewe-Märkte in Deutschland mit ihren bis zu 45.000 Artikeln.

Für diese Wahrscheinlichkeitsverteilungen nutzt Rewe zum einen historische Daten, etwa die Abverkaufszahlen der vergangenen acht Wochen oder auch die Kassendaten der Vorjahre für den betreffenden Zeitraum.

Zum anderen spielen saisonale und regionale Effekte eine Rolle, also unter anderem die Jahreszeit, Feiertage, Brückentage, Urlaub und Ferien, wann welches Obst und Gemüse gerade seine Hauptzeit hat. Einberechnet werden zudem Diebstahlquoten und Lagerfehler. Und auch aufs Wetter wird geachtet. Dafür kooperiert Rewe mit dem Deutschen Wetterdienst und bekommt Daten und Prognosen von Wetterstationen quer durch die Republik.

„Das spielt zum Beispiel eine große Rolle für Warengruppen wie Getränke und Eis oder für Grillgut“, erklärt Deichsel. Zudem würden sich längerfristige Schlechtwetterlagen auch grundsätzlich in den Umsätzen und im Einkaufsverhalten bemerkbar machen. „Die Leute gehen dann weniger häufig vor die Tür und in die Läden.“

Weniger Lebensmittelverschwendung?

Zwar sammeln Rewe und sein Schwesterunternehmen Penny genau wie andere Lebensmittelhändler schon lange Daten, um Prognosen machen zu können. „KI hebt das Thema Warendisposition aber nochmal auf ein anderes Level“, sagt Experte Deichsel und verweist auf neue Rechenmodelle und deutlich verbesserte Rechenleistung. Wichtig ist eine möglichst exakte Planung dabei für die Zufriedenheit der Kunden.

„Niemand steht gerne vor leeren Regalen“, erklärt Deichsel. Das könne im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein Verbraucher die Einkaufsstätte wechselt, sogar dauerhaft. Die Händler dürfen aber auch nicht zu viel Ware bestellen und einlagern. Schließlich haben Lebensmittel ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Und bleiben Produkte übrig und verderben, bedeutet das wirtschaftlichen Schaden. Schließlich hat der Händler seinen Lieferanten bezahlt, bekommt dann aber selbst nichts vom Endverbraucher. Und das ist nur die eine Dimension beim Thema Lebensmittelverschwendung.

Dazu kommt auch der ethische Aspekt – wenngleich Rewe hier schon seit 1996 mit den Tafeln zusammenarbeitet und verzehrfähige, aber unverkäufliche Artikel spendet. Mittlerweile bekommen die Tafeln aber weniger Ware vom Branchenriesen, der neben Edeka, Aldi und der Schwarz-Gruppe, die mit ihren Ketten Lidl und Kaufland zu den Top-vier-Lebensmittelhändlern in Deutschland gehört.

„Dank KI haben sich die Vorhersagen so weit verbessert, dass wir unseren Kunden noch frischere Ware anbieten können und deutlich weniger Abschriften haben“, berichtet Vertriebler Deichsel. Übersetzt bedeutet das: Rewe muss weniger wegschmeißen.

Experten wundert das nicht. „Lebensmittelhändler sind schon immer sehr weitsichtig und früh dran, wenn es darum geht, sich zu verbessern“, sagt Carlo Dorn, Partner bei der Beratungsgesellschaft EY und dort zuständig für das Thema Handel. Schließlich sei das Geschäft vergleichsweise margenschwach.

„Da kommt es am Ende auf jeden Cent an“, beschreibt Dorn. KI und das sogenannte Machine Learning – gemeint ist das Trainieren von Computern, um aus Erfahrungen zu lernen und sich stets zu verbessern – seien längst Standard in der Branche.

Und das nicht erst seit dem durch ChatGPT in der Öffentlichkeit erzeugten Hype um künstliche Intelligenz. Dorn, der auch SAP-Experte ist, spricht daher eher von „Evolution statt von Revolution“. Wobei die Fortschritte der vergangenen Jahre „enorm“ seien.

„Gleichwohl ist noch weit mehr zu erwarten. Denn es geht um riesige Datenmengen. Die werden jetzt durch KI erst so richtig nutzbar.“ Denn der Handel bekomme durch KI ein völlig neues Handwerkszeug, um Prozesse effizienter zu gestalten.

„Potenzial für Preisoptimierungen“

Und das bezieht sich Dorn zufolge längst nicht nur auf die Warendisposition, die allerdings eins der wichtigsten und sensibelsten Themen für die Branche sei. „Potenzial gibt es auch für Preisoptimierungen“, sagt der EY-Berater und meint zum Beispiel dynamische Preise.

Das bedeutet: Unternehmen passen ihre Preise in Echtzeit an aktuelle Marktbedingungen an. Im Supermarkt würde das bedeuten, dass ein und dasselbe Produkt über den Tag verteilt unterschiedlich viel kosten kann, orientiert zum Beispiel an der Nachfrage oder der Verfügbarkeit.

Aber auch das Sortiment kann Dorn zufolge optimiert werden. „Da geht es um die Frage, was angeboten wird, wo es angeboten wird und was die richtige Platzierung im Markt ist“, erklärt der Experte.

Bei Rewe wird zwar nicht an dynamischen Preisen gearbeitet. Wenn es um das Sortiment geht, kommt KI aber zum Einsatz. So analysieren Systeme den Zusammenhang von Abverkaufszahlen und Mindesthaltbarkeitsdaten.

„Es geht darum, Muster und Auffälligkeiten zu erkennen und den Marktleitern sagen zu können, welche Waren zu verderben drohen“, erklärt Warenwirtschaftler Deichsel. „Die können dann prüfen, ob für einzelne Produkte zum Beispiel eine Sonderplatzierung gemacht oder der Preis in Form eines Frischerabatts reduziert werden sollte.“ Im Kaffee-Regal von Rewe Rahmati in Köln ist das zum Beispiel die Röstung von der Kölner Kaffee-Manufaktur, die kaum 200 Meter weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu finden ist.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.