Eigentlich hätte es keine Überraschung sein dürfen. Denn alle hatten es erwartet, geradezu „jedermann und sein Hund“ (every man and his dog), wie es Michael Brown, Stratege beim Broker Pepperstone, ausdrückt. Und dennoch führte die Entscheidung der US-Notenbank (Fed) vom Mittwochabend, die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte zu senken, zu heftigen Turbulenzen.
Der breite amerikanische Aktienindex S&P 500 gab fast drei Prozent nach, der Index der Technologiebörse Nasdaq fiel um 3,6 Prozent, die sogenannten „glorreichen Sieben“, die Technologieaktien, die seit Jahren die Börsenrallye anführen, verloren sogar 4,4 Prozent. Gleichzeitig legte der Dollar zu, der Euro fiel unter die Marke von 1,04 Dollar, und auch der Goldpreis sowie der Bitcoin-Kurs gaben nach. Schließlich stiegen auch die Renditen der US-Staatsanleihen kräftig, der Zins für zehnjährige Titel liegt nun über 4,5 Prozent und damit auf dem höchsten Stand seit Mai.
Der Grund für diese harsche Marktreaktion liegt in der Begleitmusik zu der Zinssenkung, in den Äußerungen und Prognosen der Entscheider. „Die Fed-Offiziellen sehen laut den aktualisierten Projektionen nur wenig Potenzial für weitere Zinssenkungen“, sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Noch im September hatten die offiziellen Prognosen für den Leitzins Ende 2025 bei 3,4 Prozent gelegen, nun sind es 3,9 Prozent. Es dürfte also im kommenden Jahr nur noch zwei Zinssenkungen geben, statt der bisher vom Markt erwarteten vier Schritte.
Zudem verstörte die Investoren, dass die Entscheidung der Fed nicht einstimmig fiel. Ein Mitglied des Entscheidungsgremiums, dem Federal Open Market Committee (FOMC), stimmte dagegen, er hätte die Zinsen lieber gar nicht weiter gesenkt. „Diese Meinungsverschiedenheiten im FOMC, die während der Amtszeit des Fed-Vorsitzenden Powell selten waren, deuten auf eine Vertiefung der Spaltung im Gremium hin“, sagt Birgit Henseler, Analystin bei der DZ Bank. Bei einigen Mitgliedern des Gremiums wachse die Sorge über die Inflation, deren Rate zuletzt wieder gestiegen war.
Tatsächlich passte die Fed auch ihre Prognose für die Preissteigerungen im kommenden Jahr an. Statt einer Rate von 2,1 Prozent erwartet sie nun 2,5 Prozent – das liegt deutlich über der angestrebten Marke von zwei Prozent. „Deutliche Zinssenkungen wird es nicht mehr geben“, sagt daher Thomas Gitzel. Zumal einige FOMC-Mitglieder offenbar ein weiteres Anziehen der Inflation befürchten, sollte der künftige US-Präsident Donald Trump seine angekündigten Maßnahmen umsetzen. Fed-Chef Powell bestätigte auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Entscheidung, dass einige Fed-Vertreter mögliche politische Maßnahmen bei der Formulierung ihrer Projektionen berücksichtigt hätten.
Donald Trump hat damit indirekt einen Mini-Crash an den Finanzmärkten verursacht. Denn tatsächlich will er massive Steuersenkungen auf Pump finanzieren, was das Haushaltsdefizit, das ohnehin schon bei rund sieben Prozent der Wirtschaftsleistung liegt, weiter steigen ließe. Dies dürfte über kurz oder lang die Inflation erneut befeuern und die Zinsen in den USA hoch halten.
Dauerhaft hohe Zinsen schaden aber vor allem jenen Unternehmen, die auf Fremdkapital angewiesen sind, also insbesondere kleineren und mittleren Firmen. Daher fielen deren Kurse im Gefolge der Fed-Entscheidung ebenfalls stark. Mittelfristig könnten damit wieder die großen Konzerne an den US-Börsen die Gewinner sein.
Da gleichzeitig die Zinsen in Europa weiter sinken dürften, dürfte dies auch zu einer weiteren Aufwertung des Dollar führen. Investitionen in den USA würden sich dann für europäische Anleger daher umso mehr lohnen, US-Aktien würden noch attraktiver.
Zinspause im kommenden Jahr wahrscheinlich
Allerdings steigen auch die Risiken für Turbulenzen und Verwerfungen an den Finanzmärkten. So könnte sich schon bald erweisen, dass selbst die jetzige Prognose von zwei weiteren Zinssenkungen durch die Fed im kommenden Jahr zu hoch gegriffen ist. „Wir gehen – auch angesichts der zuletzt hartnäckigen Teuerung – von einer Zinspause im Januar und einer vorerst letzten Zinssenkung im März aus“, sagt beispielsweise Roland Metzenmacher, Ökonom bei der BayernLB. Denn danach würden signifikante Strafzölle und steigender Lohndruck aufgrund der Ausweisung von ausländischen Arbeitskräften die Inflation in den USA wieder steigen lassen.
Dann ist die Frage, wie stark die Märkte darauf reagieren, insbesondere der Zinsmarkt. Denn viele sehen bei einer Rendite von fünf Prozent für US-Staatsanleihen einen Kipppunkt. So geht beispielsweise Mislav Matejka, Aktienstratege bei J.P. Morgan, davon aus, dass sich ab dieser Marke zunehmende Konjunktursorgen breitmachen und das Unfallrisiko an den Finanzmärkten steigt. Der Mini-Crash vom Mittwochabend könnte also ein Vorgeschmack für Größeres gewesen sein, das 2025 droht.
Frank Stocker ist Wirtschafts- und Finanzkorrespondent in Frankfurt. Er berichtet über Geldanlage, Finanzmärkte, Konjunktur und Zinspolitik. Zudem hat er mehrere Bücher veröffentlicht.