„Die Dinge sind nicht mehr schlecht, die Dinge sind beschissen“, beschreibt die ukrainische Aktivistin Jana Skhidna, unterwegs mit der 110. Brigade in der ostukrainischen Großstadt Pokrowsk, die militärische Lage in ihrem Frontabschnitt.
Russische Truppen rücken hier auf breiter Front vor, nehmen mittlerweile täglich ein bis zwei Dörfer ein und legen bis zu drei Kilometer am Tag zurück. Am Dienstag eroberten Putins Soldaten Nowohrodiwka (ehemals 14 000 Einwohner), am Mittwoch betraten sie Selydowe (früher 23 000 Einwohner).
Ukrainische Verteidigung? Weitestgehend Fehlanzeige!
Eine fatale Situation, die die ukrainische Abgeordnete im Verteidigungsausschusses, Marjana Besuhla, am Mittwoch bestätigte. „Die südlich von Pokrowsk gelegene Stadt Nowohrodiwka wurde innerhalb weniger Tage von den Russen eingenommen. Die Schützengräben vor Nowohrodiwka waren leer.“
Ihr brisanter Vorwurf: Die aktuell durchgeführten Rotationen der ukrainischen Armee seien in Wahrheit groß angelegte Abzüge von der Front.
Wörtlich schrieb sie bei X: „Alle diese ‚Rotationen‘ führen zu Durchbrüchen und Todesfällen. Einheiten werden abgezogen, Kommandeure werden entfernt, Menschen sterben, wir verlieren Hunderte Kilometer ukrainischen Landes – Städte, Dörfer, Minen, Mineralien, Geschichte. Die Zahl der kriminellen Rotationen nimmt immer mehr zu.“
Was sich in der Ukraine kaum jemand zu sagen traut: Der rapide Gebietsverlust im Donbas fällt mit der stockenden ukrainischen Offensive im westrussischen Kursk zusammen.
Ukraine-Analyst und Karten-Macher „Suriyak“ glaubt: „Die ukrainische Kursk-Offensive hat einen Teil ihrer ursprünglichen strategischen Ziele erreicht. Sie hat jedoch die Entwicklung des Donbas-Kampfes zugunsten Russlands verschoben“.
Auch der ukrainische Generalstabschef Oleksandr Syrskyj räumte jetzt erstmals ein, „eines der Ziele der Kursk-Operation bestand darin, bedeutende russische Kräfte von anderen Fronten, insbesondere von Pokrowsk und Kurachowe, abzulenken“.
Tatsächlich hätten die Russen jedoch „ihre Bemühungen an der Pokrowsk-Front verstärkt“.
Militärexperte Carlo Masala (Bundeswehr-Uni München) ordnete die Geschehnisse in BILD ein: „Ob die ukrainische Staatsführung den Donbas opfert, kann man bisher nicht beurteilen. Allerdings ist auffällig, dass es eine Schwerpunktverlagerung auf Kursk gibt, während die ukrainischen Truppen im Donbas immer mehr Gebiete verlieren.“
Masala weiter: „Setzt sich das fort, ist zu befürchten, dass Russland unter hohen Verlusten am Ende des Tages die Kontrolle über den gesamten Donbas erlangen könnte.“