Nur Scholz schafft es, die Krise auch noch als Erfolg darzustellen

Mittwochabend im Haus der Deutschen Wirtschaft. Die Spitzen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) haben zum Pressehintergrund geladen. Aus dem Gespräch darf nicht zitiert werden, nur so viel: Auf den Kanzler ist man gar nicht gut zu sprechen.

Der Grund: Die Wirtschaftsleistung in Deutschland droht 2025 das dritte Jahr in Folge zu sinken, es wäre die längste Schwächephase in der Nachkriegsgeschichte. Der DIHK rechnet 2025 mit einem Minus von 0,5 Prozent – bislang hoffte man auf immerhin 0,3 Prozent Wachstum.

Besonders bitter: Nicht etwa die Folgen der geopolitischen Verwerfungen, von denen sich unsere Nachbarländer viel besser erholt haben, sind aus Sicht der Unternehmen aktuell das größte Problem. Es ist der Standort: Laut DIHK sehen 60 Prozent der Firmen in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ihr größtes Geschäftsrisiko.

Der Kanzler wiederum will das Problem immer noch nicht so recht sehen. Nein, es gebe keine Deindustrialisierung, sagte Olaf Scholz im TV-Duell gegen Herausforderer Friedrich Merz. Stattdessen herrsche Rekordbeschäftigung.

Glaubt Scholz also wirklich, dass alles gut ist? Das darf bezweifelt werden. Als ehemaliger Arbeitsminister weiß er genau, wie sich die Beschäftigungsstatistik entwickelt hat. Dort steht die ungeschönte Bilanz: Seit dem Wahlsieg der Ampel arbeiten im Öffentlichen Dienst, im Gesundheitswesen sowie im Bereich Pflege und Soziales rund 560.000 Menschen mehr. Der immer weiter aufgeblähte Staatsapparat ist denn auch die alleinige Erklärung für den Beschäftigungsrekord.

Das verarbeitende Gewerbe hingegen hat seit Mitte 2023 fast 100.000 Stellen abgebaut und es werden immer mehr. Nicht nur Scholz‘ Kritiker mahnten diese alarmierende Entwicklung immer wieder an. „Die Entwicklung geht seit Herbst 2023 in die falsche Richtung“, attestierte Andrea Nahles, Ex-SPD-Chefin und Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, letztes Jahr. Nur wollten das im politischen Berlin wenige hören.

Und nicht nur das. Während die Industrieproduktion in Deutschland schon seit 2018 zurückgeht, ist die Arbeitslosigkeit gerade auf 6,3 Prozent gestiegen und dürfte sich im Jahresmittel verfestigen. Es ist der höchste Wert seit 2015 – trotz 1,3 Millionen unbesetzter Stellen. Kanzler Scholz hat dennoch die Chuzpe, das als Erfolg darzustellen. Die Quote sei die zweitbeste unter den G-7-Staaten.

Selbst das ist eine geschönte Bilanz. Denn auch die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit geht dank der Konjunkturkrise alarmierend nach oben. 263.000 waren es im Oktober (aktueller Stand), Tendenz steigend. Gäbe es das kostspielige Instrument nicht, wären es nunmehr 3,26 Millionen Arbeitslose, das Land würde an der Sieben-Prozent-Marke kratzen. Noch einmal: Und das, während weiterhin Arbeitskräftemangel herrscht und mehr als eine Million Stellen unbesetzt sind.

Die Verdopplung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf zwei Jahre hat Rot-Grün kurz vor Jahreswechsel ohne Parlamentsmehrheit und gegen den Rat von Experten durchgesetzt. Nicht nur, dass zwei Jahre lang und nicht „kurz“ sind: Zahlen muss die Allgemeinheit, ein weiterer Anstieg der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung rückt näher. Das könnte man noch rechtfertigen, wäre eine klare Strategie zur Beschäftigungssicherung erkennbar.

Ist sie aber nicht. Denn auf eine Verpflichtung, dass Unternehmen auch wirklich Weiterbildungen anbieten, während ihre Beschäftigten monatelang Kurzarbeitergeld erhalten, wurde verzichtet. Das Geld fließt trotzdem, auch, wenn es überhaupt keine Perspektive auf Umschulung und Jobwechsel gibt.

Die Zahlen zeigen es schonungslos: Die erste Phase der Deindustrialisierung in Deutschland hat begonnen. Ein Kanzler, der schönredet, hilft da nur wenig. Die gute Nachricht: Noch ist es nicht zu spät für eine Kehrtwende.

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen. Den zugehörigen Newsletter können Sie hier abonnieren.

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