Historische Stunden im Bundestag.

Deutschland nach der Ampel: ein Land vor vorgezogenen Neuwahlen, mit einer Reste-Regierung und ohne feste Führung. Da wollte der Kanzler eine Woche nach dem Ampel-Crash eine Regierungserklärung im Bundestag halten, sich den Abgeordneten und der Nation erklären.

Er eröffnete den Wahlkampf.

Es wurde eine Debatte: zwei Nicht-ganz-Kanzler im Wahlkampf. Und dazu fast alle Schwergewichte, die die Parteien zu bieten haben! Es knallten aufeinander: Zwei politische Welten – links und konservativ. Lagerwahlkampf – Deutschland weiß jetzt, was kommt, wenn man wen wählt. Was bis dahin ist: keine Ahnung – keine Macht für niemand!

Noch-Kanzler: Olaf Scholz (66, SPD), der Regent ohne Regierungsmehrheit, hielt – ungewollt – eine Abschiedsrede als Regierungserklärung. Wie er noch weiterregieren will? Erklärte er nicht.

Umfrage-Kanzler: Friedrich Merz (68), CDU-Chef und Kanzlerkandidat von CDU und CSU, hielt eine Bewerbungsrede um die Scholz-Nachfolge.

Was sagte Scholz?

Scholz zählte auf, was er gern noch alles gemacht hätte (Rentenpaket, Wachstumsimpulse, was für Familien), jetzt aber nicht mehr durch den Bundestag bekommt. Jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Beispiel: sein noch nicht im Bundestag beschlossenes Rentenpaket. Scholz sagt Rentenkürzungen „nicht mit mir“! Nur: Niemand will die Renten kürzen – er hat bloß keine Mehrheit mehr für SEINE Rentenpläne.

Demonstrativ gab sich Scholz sicher: Die kommende Bundestagswahl (23.2.2024) werde „breiten Rückhalt“ bringen für seinen Kurs. Seine Koalition krachte im Streit, er kanzelte vor einer Woche mit einer vorgetexteten Wut-Rede FDP-Chef Christian Lindner (45, FDP) ab. Nun sagt er im Bundestag: „Nie wieder darf öffentlicher Streit die Erfolge der Regierung überlagern.“

So reagierte Merz

Oppositionsführer Merz ging Scholz frontal an, bezeichnete dessen Regierungserklärung und dessen wütende Nachtrittsrede auf seinen Ex-Finanzminister Lindner vor einer Woche „eines Bundeskanzlers unwürdig“. Nicht nur seine CDU/CSU klatschte, sondern auch die FDP – wie mehrfach danach auch.

Merz an Scholz: „Sie leben in einer anderen Welt!“ Wer Scholz zugehört habe, habe sich gefühlt wie „in einer Geisterstunde“. Der „spaltet das Land“. Und Merz macht dem Kanzler, der bei der Union Zustimmung für seine Projekte erbittet, klar: „Wir sind nicht Ihre Auswechselspieler.“

Merz entwirft sein Wahlprogramm: weniger Staat, weniger Subventionen.

Habeck-Ersatz-Rede

Dann der schrägste Moment: Außenministerin und Ex-Grünen-Spitzenkandidatin (2021) Annalena Baerbock (43) hält die Rede einer Spitzenkandidatin – die sie nicht wieder wird.

Wirtschaftsminister und Grünen-Frontmann Robert Habeck (55) ist in Lissabon gestrandet. Nun also sie noch mal in die Bütt: Baerbock gibt sich staatstragend, redet über die Stärken Deutschlands, hörbar um Ruhe bemüht. Und sie geht die Union an: Sechs Jahre unionsgeführte Bundesregierung hätten im Land viele Baustellen hinterlassen. Die Union trage dafür die Verantwortung, auch wenn sich Merz zwischenzeitlich „im politischen Ruhestand“ befunden habe: Es reiche nicht, die Verantwortung auf Ex-Kanzlerin Angela Merkel (70) zu schieben.

Lindners Oppositionseinstand

Und dann: Auftritt Christian Lindner (45), FDP-Chef und bis vor sieben Tagen Finanzminister unter Scholz. Er machte zu Beginn seiner Rede nur den kurzen Schulterblick in den Rückspiegel: „In der vergangenen Woche bin ich entlassen worden.“ Lindner: „Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung.“

Dann „Aktion Vorwärts“: Er stellte sich auf für einen Wirtschaftswahlkampf. Die Wahl Trumps und das Ende der Koalition: spiegeln, so Lindner, die „Sorge um die ökonomische Zukunft“ wider: „Die Menschen spüren, dass Verteilungskämpfe drohen.“ Sein Rezept: „Wachstum, Wohlstand, Arbeit für alle.“

Ein Seitenhieb gegen Außenministern Baerbock: „Nicht moralische Überlegenheitsgefühle sichern unseren Einfluss“ in der Welt – sondern „unsere ökonomische Stärke“. Er hielt Scholz „Schönrednerei der Wirtschaftslage“ vor.

Dann wieder Rückspiegel: Man habe „im Kabinett nicht mehr über dasselbe Land gesprochen“.

Seinem Ex-Chef Scholz hielt er ein Zitat aus dem Buch „Unterm Strich“ des SPD-Granden Peer Steinbrück (77) vor: „Das Soziale in der Politik reicht nicht. Darauf verlegt sich die SPD am liebsten, weil sie es am besten kann und ihr wirtschaftspolitisches Bein zu kurz ist.“ Daher, so zitiert Lindner Steinbrück, laufe die SPD in Sachen Wirtschaft „im Kreis“. Gelächter – nur nicht bei der SPD.

Moment der Größe

Und dann kommt: Rolf Mützenich, der Chef der SPD-Bundestagsfraktion (65). Und der entschuldigt sich. Für den SPD-Abgeordneten, der ein Fake-Video über Merz teilte. Und vor allem für seine Fehler: „Ich bekenne mich zu Fehleinschätzungen, auch zu persönlichen Unzulänglichkeiten. Ich finde am Ende einer Koalition gehört das auch dazu: Wo ich verletzend und unbeherrscht war, möchte ich mich entschuldigen.“

Und da fällt jedem auf: Scholz, der Mann, der noch Mützenichs Kanzler ist, hat sich nicht entschuldigt! Nicht für Ausfälle. Nicht für Fehler. Nicht für seinen abgelesenen Anti-Lindner-Ausbruch vor einer Woche. Die Frage im Raum: Warum kann es der eine, der andere aber nicht?

Und: War das Absicht von Mützenich?

Weidel geht Merz an

AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel (45) zieht ihre miese Ampel-Bilanz: „Was diese Regierung diesem Land, seinen Bürgern angetan hat, ist ohne Beispiel.“ Die „E-Auto-Planwirtschaft“, ziehe „eine Schneise der Verwüstung“ durch Land, „auf den Straßen toben sich importierte Judenhasser aus“. Weidel: „Sie spalten das Land mit Zensurmaßnahmen“. Sie wettert gegen das Selbstbestimmungsrecht (Geschlecht aussuchen einmal im Jahr), wirft der FDP vor: „Sie haben das alles mitgemacht“ (u.a. „Kiffen für alle!“). Auch Merz bekommt seine Watsche von ganz Rechtsaußen: Merz wirft sie Eitelkeit vor, nennt ihn „Ersatz-Scholz“.

Premiere des Tages

Bayern-Regent und CSU-Chef Markus Söder (57) ist der Debütant des Tages: Er hielt seine Jungfernrede im Deutschen Bundestag (Bundesratsmitglieder dürfen das). Söder gibt den Kraftmeier: Man sei absolut regierungsfähig! Er attestiert Rot-Grün „totalen Realitätsverlust“. An Scholz: „Sie haben das Land in die Sackgasse geführt.“ Dem Kanzler wirft er vor, seinen Amtseid (Nutzen mehren, Schaden vom Volk abwenden) gebrochen zu haben. Söder: „Sie haben es definitiv nicht geschafft!“ Scholz-Sozius Habeck sei „das Gesicht der Krise.“ Söder: „Keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik hat das Land tiefer gestalten.“

Bayern-Regent an Reste-Kanzler: „Ihr Satz müsste sein, ‚It’s time to say goodbye‘.“