Nu Metal, No Money

Fred Durst ist ein konfliktfreudiger Mensch. Der Sänger der
Nu-Metal-Band Limp Bizkit hat im Laufe seiner Karriere viele Kolleginnen und
Kollegen gegen sich aufgebracht. Slipknot-Sänger Corey Taylor drohte deshalb
einst vor
laufenden Kameras
, ihn zu ermorden,
Christina Aguilera vermutete nach einem missglückten
Duett
bei den MTV Video Music Awards, Durst
habe wohl nur mit ihr schlafen wollen, und Shaggy 2
Dope, Mitglied von Insane Clown Posse, hat erst vor ein paar Jahren versucht, ihn mit einem Wrestling-Dropkick von
einer Konzertbühne zu treten. Nun hat Fred Durst sich aber einen besonders
schweren Gegner gesucht: die Universal Music Group, eines der drei großen
Major-Labels der Musikindustrie mit einem Anteil von über einem Drittel am
globalen Musikmarkt.

Durst, seine Band Limp Bizkit und sein eigenes Label Flawless Records
haben am letzten Dienstag an einem Bundesgericht in Los Angeles Klage gegen Universal eingereicht.
Denn, so zitieren Medien, denen die Klageschrift vorliegt: Sie sollen von dem Label „keinen einzigen Cent“
an Tantiemen ausgezahlt bekommen haben. Tantiemen sind Nutzungshonorare, die
fällig werden, wenn Musik aufgeführt oder vervielfältigt wird – oder auch durch
ihre Lizenzierung an Streamingdienste wie Spotify.

Dursts Konto war laut Universal im Minus

Limp Bizkit hatten ihre größten Erfolge um die
Jahrtausendwende. Auf Songs wie und rappt
Durst zu Metal-Riffs von doofen Ex-Freundinnen und dem Drang, Dinge
kaputtzuschlagen. Ihre Alben erschienen über Interscope Records, ein Label, das sich in
den Neunzigerjahren mit Gangsta Rap einen Namen gemacht hatte und deshalb
medial kontrovers diskutiert worden war – eigentlich eine passende Heimat für
die infantil-rebellische Musik von Limp Bizkit. Schon seit 1996 ist allerdings die
Universal Music Group Hauptanteilseigner von Interscope.

Zur Hochzeit von Limp Bizkit gab es noch keine
Streaming-Tantiemen. Wie aber kann die Band über all die
Jahre gar keine Tantiemen erhalten haben? Universal habe das mit seinen
Vorauszahlungen begründet, etwa für Albumproduktionen, schreiben die Anwälte. Fred Dursts Konto
soll also laut Universal immer im Minus gewesen sein. Das zweifeln die Kläger
an, zitieren einzelne Posten in der Buchhaltung des Labels, die sie sich nicht
erklären können. Vor allem sei aber das Interesse an der Musik von Limp Bizkit zuletzt wieder aufgelebt, und die Songs auch viel gestreamt worden.

Angeblich über 200 Millionen US-Dollar Schulden

Das stimmt: Seit 2021 sind einige
Rockmusikstile der Neunziger- und frühen Zweitausenderjahre wieder populär
geworden, angestoßen durch TikTok-Trends. Beispielsweise haben Pop-Punk-Bands
wie Blink 182 neue Erfolge gefeiert, und auch Limp Bizkit tauchen seitdem
wieder vermehrt in Social-Media-Feeds auf und verkaufen viele Konzerttickets.
Galt die Band in ihrer ersten Hochzeit noch vielen als stumpf und vulgär, so ist
nun die Rückschau wohlwollender und gesteht ihnen Selbstironie zu – auch weil
Fred Durst inzwischen in bewusst uncoolen „Dad-Outfits“ auftritt. Die Songs von Limp Bizkit sollen allein in diesem Jahr
schon fast eine halbe Milliarde Streams angesammelt haben, so die Klageschrift.

Streaming-Tantiemen genau auszurechnen, ist so
gut wie unmöglich: Bei Spotify wird nach einem sogenannten Pro-Rata-System
bezahlt. Das heißt im Grunde, dass die Abogebühren aller Nutzer in einen Topf
kommen und dann auf alle gehörte Musik prozentual verteilt werden. Das bedeutet, es gibt keine
direkte Entsprechung zwischen Streams und Geldbeträgen. Nutzer, die viel
Musik hören, können einen größeren Einfluss auf die Finanzen ihrer
Lieblingsbands haben – oder einen geringeren, wenn sie viele verschiedene
Lieblingsbands haben. 

Durst und seine Anwälte glauben, dass Universal
Limp Bizkit über 200 Millionen US-Dollar schulden könnte. Die daraus
abgeleiteten Anklagepunkte sind unter anderem Vertragsbruch und
Copyright-Verletzungen. Limp Bizkit fordern deshalb nicht nur Schadensersatz,
sondern auch, aus ihrem Vertrag mit Universal entlassen zu werden und dass die
Rechte an ihren Aufnahmen an sie selbst zurückgehen. Universal hat zu den
Vorwürfen, auch nach einer Anfrage von ZEIT ONLINE, noch kein Statement
abgegeben.

Streaming macht das Musikgeschäft intransparent

Dass Universal glaubte, Limp Bizkit im großen
Stil betrügen zu können, ist unwahrscheinlich. Die Sache klinge nach einem
Buchhaltungsfehler, wird der Musikindustrieveteran und ehemalige
Universal-Angestellte Jay Gilbert im zitiert. 

Die
Klage hat jedoch einen anderen Tonfall, wirft dem Label systematischen Betrug
vor. Universal verschleiere bewusst, welche Tantiemen Interpreten zustehen.
Fred Durst habe dazu nämlich keine Post erhalten, und auch die Software, die
Universal zum Abwickeln von Tantiemen anbietet, sei in ihrer Aufmachung
täuschend, so der Vorwurf der Kläger. Sie vermuten deshalb, ein Gerichtsprozess
könne
offenlegen, dass Universal auch „Hunderte anderer Künstler“ betrogen habe.

Meinungsverschiedenheiten über Finanzen seien
gang und gäbe in der Musikindustrie, zitiert der Jay Gilbert, sie würden in der
Regel jedoch nicht öffentlich ausgetragen. Limp Bizkit gehen also ungewöhnlich
forsch vor. Das könnte darauf hindeuten, dass sie sich eine große
Ausgleichszahlung erhoffen, falls Universal die Sache bald aus der Welt
schaffen will. Es könnte aber auch daher rühren, dass Limp Bizkits erste
Hochphase noch vor dem Einbruch des Tonträgergeschäfts durch Online-Piraterie
stattfand. Nun, da Nu Metal ein Revival erlebt, könnte gerade für eine ehemals
erfolgreiche Band wie diese besonders
augenscheinlich sein, wie sehr sich das Musikgeschäft durch Streaming gewandelt
hat und dabei auch intransparenter geworden ist.

Verständliches Misstrauen

Denn genau genommen ist die Rechnung noch
komplizierter: Von dem Geld im großen Topf, das nach Pro-Rata-System der Musik
von Limp Bizkit zugewiesen wird, bleibt ein Teil bei Spotify, ein weiterer Teil
geht an den Musikverlag, der wiederum einen Teil an die Songwriter ausbezahlt,
und der Rest dann an das Label, in diesem Fall Universal, das wiederum einen
Vertrag mit den Interpreten geschlossen hat, in diesem Fall Limp Bizkit. Und
natürlich werden auch noch die meisten dieser verschiedenen Verträge streng geheim
gehalten. 

Es ist also kein Wunder, dass Künstler misstrauisch sind, wenn sie
Abrechnungen bekommen, die sie nicht überprüfen können, oder wenn sie gar, wie
Fred Durst behauptet, nicht einmal Abrechnungen bekommen. Man ist ja auch
misstrauisch gegenüber seiner Hausverwaltung, wenn sie mysteriöse Nebenkosten
in Rechnung stellt – und das oft mit Recht.

Sollte es Limp Bizkit gelingen, aufgrund von
mutmaßlichen Buchhaltungsfehlern nicht nur Schadensersatz, sondern sogar die
Rechte an ihrer Musik zu erstreiten, würde das wohl hohe Wellen schlagen. Wenn
einmal wieder ein Künstler mit seinem Label im Clinch liegt, würde der dann in
Zukunft seine Kontoauszüge sehr genau studieren. Sollte die Klage schon bald
wieder aus der Welt geschafft sein, so hätte sie doch zumindest auf ein
grundsätzliches Problem hingewiesen. 

Auch wenn womöglich nicht „Hunderte weitere
Künstler“ von Universal betrogen wurden, so kennen doch Hunderte und mehr
dieses Problem: dass das Geschäft mit ihrer Musik immer komplizierter und
undurchsichtiger wird. Vor diesem Hintergrund ist Misstrauen gegenüber der
Industrie und großen Unternehmen wie Universal verständlich, und die aktuelle
Klage könnte nicht die letzte gewesen sein.

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