Nicht so glatt!

Es wird hier gleich um Schönheit gehen, um Körperbilder und Optimierungsdruck, es wird also stressig, deshalb tun wir das einzig Vernünftige: Rauchen wir erst mal eine. Oder erinnern wir uns zumindest daran, was früher geraucht wurde. Die Zigarettenmarke Milde Sorte zum Beispiel. Im Jahr 2002 wurde sie verboten, der Bundesgerichtshof (BGH) sprach ein Machtwort, weil er Begriffe wie „mild“ oder „light“ auf Zigarettenpackungen als irreführend identifizierte: Solche freundlichen Attribute könnten schließlich den Eindruck erwecken, dass Zigaretten dieser Marke weniger gesundheitsschädlich seien als andere Sorten.   

Ein artverwandtes Problem hat den BGH nun wieder beschäftigt. Nur war dieses Mal kein Konsumgut, mit dem man sich tendenziell den gesunden Teint versaut (Zigaretten), der Gegenstand der Verhandlung, sondern eines, mit dem man ihn sich aufbessern kann: Das Gericht hat entschieden, dass Werbung mit Vorher-Nachher-Bildern für Schönheitseingriffe mit Hyaluron und Botox verboten gehört. Im konkreten Fall ging es um die sozial-medial umtriebigen Ärzte Dr. Rick & Dr. Nick, die Behandlungen in dieser Art auf ihrer Internetpräsenz beworben haben. Man kennt solche Bilder ja aus vielen Kontexten: vorher Falten und hängende Haut (buuuh!), nachher volle Lippen und glatte Stirnpartie (yaaaas!).   

Geklagt hatte zuerst die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, weil die Werbung gegen das Heilmittelwerbegesetz verstoße. Das untersagt, operative plastisch-chirurgische Eingriffe, die aus medizinischer Sicht gar nicht nötig wären, mit vergleichenden Darstellungen zu bewerben. Die beiden Ärzte hielten dagegen: Man führe nichts dergleichen durch, sondern lediglich „minimalinvasive Schönheitseingriffe“. Das klingt natürlich angenehm, nach kleinem, vornehmem Pieks, kaum schlimmer als Ohrlochstechen.   

Nun, der BGH sieht das anders: Suggestiv und irreführend sei diese Art der Werbung, denn Risiken gehe man mit einer solchen Spritze durchaus ein. Wird etwa Hyaluronsäure unter die Haut gespritzt, hebt sie das Gewebe an und füllt eingesunkene Stellen auf. Nach einigen Monaten soll sich die Substanz von selbst abbauen, aber in manchen Fällen kann sie im Körper verbleiben, sich entzünden oder im Gewebe verschieben und so plötzlich anderswo auftauchen als ursprünglich geplant. Eine Hamburger Schulbehörde warnte schon Ende 2023 vor derartigen Risiken, so was ist nun also sogar schon für Schülerinnen relevant. Im selben Jahr gab es in Deutschland laut einer Statistik der International Society of Aesthetic Plastic Surgery rund 220.000 Eingriffe mit Hyaluronspritzen.    

So harmlos wie Wimperntuschen ist das nicht

Halten wir also kurz fest: Es gibt sehr viele und zunehmend auch sehr junge Menschen, die solche Behandlungen in Anspruch nehmen. Für manche von ihnen, darunter auch Vertreterinnen des medienaffinen Feminismus, scheint es darüber hinaus als ausgemacht zu gelten, dass solche Eingriffe so normal sind wie die üblichen Gesichtsrestaurierungsarbeiten mit Cremes und Make-up. Oder zumindest entsprechend normalisiert gehören.

Mit ein bisschen Dekoration mutet man dem Körper aber nichts Belastendes zu, mit minimalinvasiven Behandlungen unter Umständen schon, und von den Konsequenzen für das Gesundheitssystem einerseits und unsere Sehgewohnheiten andererseits haben wir da noch gar nicht gesprochen: Dass sich immer mehr Hautärzte auf kosmetische Behandlungen spezialisieren, geht schließlich nicht selten auf Kosten von Kassenpatientinnen, die oft lange Wartezeiten für Essenzielles wie Hautkrebsvorsorge in Kauf nehmen müssen. Da sitzt man dann also mit seinen fransenden Muttermalen und guckt zugleich bald extra-ungnädig in den Spiegel, weil man selbst in der U-Bahn zunehmend umgeben ist von faltenarmen, glatten Gesichtern mit Powerkinn.   

Insofern ist es gleich aus mehreren Gründen gut, dass wir das nun auch gerichtlich geklärt hätten: Nein, ganz so harmlos wie Wimperntuschen und Lockendrehen ist das ganze Gespritze nicht. Und das sollte eben auch Werbung nicht vermitteln.    

Nur so viel Botox, dass sich alles noch bewegt

Das Dumme ist nur, dass die Vorher-Nachher-Bilder, die es nun nicht mehr geben soll, gar nicht das ganze Problem sind. Sondern höchstens ein kleiner Teil davon. Es gehört zum Wesen der zeitgenössischen Werbewelt, dass Reklame heute viel perfider funktioniert als früher: Man unterhält parasoziale Beziehungen zu Influencerinnen, leiht sich bei ihnen einen Weltausschnitt, der zugleich entrückt und irre ist. Durch ihren schwesterlichen Rat (nur so viel Botox, „dass sich noch alles bewegt“, hat die Influencerin Ann-Kathrin Götze ihren Followern einmal ans Herz gelegt) bekommt man ein angeblich objektives Verhältnis zu ganz und gar nicht selbstverständlichen Dienstleistungen wie Schönheitseingriffen.  

Solche vermeintliche Ehrlichkeit machen sich längst auch andere zunutze, medienbekannte Dermatologinnen etwa, die transparent über die Risiken von Eingriffen aufklären und damit zu verantwortungsbewussten Freundinnen ihrer Fans werden. Wenn sie die besagten Leistungen aber trotzdem selbst anbieten, kauft man von so redlichen Händlerinnen natürlich besonders gern eine Stirn ohne die Spuren der letzten achtzig Barabende.

Sehr fern erscheint einem heute die Zeit, in der Chiara Ohoven mit sichtlich überfüllten Lippen erklärte, es sei sicher ihre neue Haarfarbe, die ihren Mund größer wirken lasse; längst teilen manche Stars und Influencerinnen ihre Eingriffe mit ihren Followern, als würden sie ihre liebste Handcrememarke verraten. Die Fernsehberühmtheit und Schminkeverkäuferin Kylie Jenner klärte kürzlich auf TikTok einen neugierigen Fan sehr detailliert darüber auf, welche Brustimplantate sie sich genau hat einsetzen lassen. Das ist definitiv besser als lügen.  

Eine neue Form der Ungleichheit

Nach Meinung mancher Kommentatoren macht sie das allerdings gleich zu einer Prominenten , einer solidarischen Verbündeten aller Frauen, und spätestens da hätten wir den sogenannten Salat: Kauftipps für Brustimplantate gelten manchen nun als vage feministisch. Dass Kylie Jenner die Anzahl der Eingriffe, die sie an ihrem Gesicht hat vornehmen lassen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit stark untertreibt (und damit bei jungen Frauen die Hoffnung weckt, auch ihr Gesicht möge sich einer Spontantransformation unterziehen wie das ihres Vorbilds): Schon okay, scheinen viele zu denken, wenn sie nur ein wenig Reiche-Leute-Geheimwissen großzügig mit der Welt teilt.   

Es ist aber kein Akt der Gemeinschaftlichkeit, andere Frauen anzuleiten, sich glatt und – mit den entsprechenden Abnehmspritzen – neuerdings auch dünn zu spritzen. Man befeuert damit sogar, ganz im Gegenteil, eine neue Form der Ungleichheit, schließlich sieht man allen, die sich keine Eingriffe leisten können, die Einkommensverhältnisse an der absackenden Kieferpartie an. Niemals werden Leute, die mit Unsicherheiten Geld verdienen und das Ganze schlimmstenfalls auch noch politisch aufrüschen wollen, eine echte Hilfe dabei sein, gesund und ernsthaft empathisch über Körper- und Schönheitsdruck zu sprechen. Sie sind keine Freundinnen. Sie sind aggressive Traumverkäuferinnen, milde Sorte.  

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