Ehe die Tech-Milliardäre und Raketenbauer – Musk, Bezos, Zuckerberg – zu Königen der Welt aufstiegen, hielt eine andere Berufsgruppe den obersten Rang der größten, Pardon, Kotzbrocken und Reizfiguren. Sie nannten sich und erweckten den Anschein, es stehe in ihrer Macht, mit der ganzen Welt Schlitten zu fahren. Es waren die Banker. Als 2008 die Weltfinanzwirtschaft zusammenbrach, wurden viele von ihnen entlassen, erst in New York, dann auch in London, als habe eine Druckwelle sie alle aus ihren Gebäuden gefegt. Nun standen sie im Wind zwischen den Hochhäusern, grinsend oder glühend vor Scham, manche hatten Tränen in den Augen, und sie schlangen ihre Arme um einen Pappkarton. Darin befanden sich die wenigen Habseligkeiten, die sie mitnehmen durften, ehe man sie aus dem Gebäude führte. Und oftmals befanden sich auch die Schokoriegel und Sandwiches darin, die sie im letzten Moment in der Kantine an sich gerafft hatten …
Diese enigmatische Szene – der reiche Mann, dem ein Pappkarton bleibt – ist auch in James Grahams Stück zu sehen, das jetzt beim Edinburgh International Festival uraufgeführt wurde. Der Mann, dem zum Abschied ein Fuck-off-Päckchen übergeben wird, ehe man ihn aus seiner eigenen Bank wirft, heißt Fred Goodwin. zeigt seinen Aufstieg und Niedergang. Dass es in Edinburgh herauskommt, ist nur konsequent. Hier und nicht in London oder New York befand sich das Epizentrum des Bankencrashs, denn es war die hier beheimatete Royal Bank of Scotland, damals die größte Bank der Welt, mit deren Zusammenbruch das wahre Elend begann. Und deren CEO war – Fred Goodwin. Der angeblich noch immer, ausgestattet mit einer üppigen Pension, hier lebt.
In Finanzkreisen wird er bis heute als ein Weltstar des Versagens verehrt. Sein Imperium sei, so heißt es im Stück, zeitweise größer als Coca-Cola, Apple und Sony zusammen gewesen. Ehe es dann implodierte.
Goodwins Schlachtruf an seine Höflinge gibt dem Stück den Titel, machen wir’s möglich! Wobei die Schlacht gefährlich leise vonstattenging. Goodwin kaufte andere Banken mitsamt den zugehörigen Schrottwertpapierhalden, er wusste wenig vom Bankgeschäft, hatte aber grenzenloses Selbstvertrauen und ein zwanghaftes Vergnügen am Wachstum. Leute, die ihn kannten, sagten über ihn, in seinem Leben sei die Gier an die Stelle der Sexualität getreten, Fleischeslust sei durch das Dealen und Kaufen ersetzt worden. So kommt es in zwar zu einer Affäre zwischen ihm und einer Untergebenen, aber sie spielt keine Rolle, Sex bleibt ein Nebenmotiv, Liebe ist gar kein Thema: Fred hat keine Libido, die von menschlichem Kontakt abhängt. Ihn machen Zahlen, genauer: Summen heiß.
Der Dramatiker James Graham ist ein solider Handwerker, ein Rechercheur und Verknüpfer von Fakten, die er mit Musical-Elementen zu einer schmissigen Revue verquirlt, aber zum großen satirischen Wurf fehlen Säure, Esprit, Biss. Und es fehlt ihm ein Interesse an Menschen; ihn interessieren eher die Institutionen, in denen sie agieren.
Immerhin hat sein Stück einen hübschen Clou: Fred Goodwin, der in der Verkörperung des schottischen Schauspielers Sandy Grierson ein wenig an den jungen Wladimir Putin erinnert (leise, aber wichtig; eidechsenhaft geräuschlos, ehe er zu Krokodilsbissen ansetzt), trifft unversehens seinen Lehrmeister. Es ist der schottische Philosoph Adam Smith, Autor des Werks von vielen als geistiger Vater des Kapitalismus und Vorreiter des freien Marktes bezeichnet, der sich plötzlich auf der Bühne materialisiert. Rauch steigt auf, es riecht nach Feuer, die Unterwelt öffnet sich – und Smith steht vor uns und blinzelt, ungefähr so, wie bei Goethe plötzlich Mephisto in Faustens Studierstube steht.
Nun ist Adam Smith zwar seit 235 Jahren tot, aber im Theater hat, wenn man über die besten Schauspieler verfügt, der Tod keine Macht. Und in Edinburgh spielt Brian Cox den Smith, jenen Adam, mit dem alles begann.
Cox, seit seiner Rolle als der grimmige Medienmogul Logan Roy in der TV-Serie weltberühmt, hatte selbst die Idee zu diesem Auftritt. Er wollte, dass in einem Stück über die Rolle Edinburghs im Finanzskandal auch die Leuchtgestalt der Scottish Enlightenment, der in Edinburgh begrabene Smith, auftaucht – und als Geist zu Wort kommt. Um seinen Einspruch in den Lauf der Dinge hineinzuknurren.
Cox, geboren 1946 in Dundee, ist ein eiserner Kämpfer für die schottische Unabhängigkeit. Er hat hier im Norden den Rang eines Volksschauspielers: Er tritt auf, klein, gedrungen, mit weißer Perücke und im Zweireiher eines Seemanns, und das Publikum im riesigen, ausverkauften Edinburgh Festival Theatre (1.900 Plätze!) verbündet sich mit ihm. Bisweilen blinzelt er ins Parkett, als habe er dort Freunde entdeckt. Was vermutlich stimmt.