Nennen wir ihn doch einfach Oligarch

Reden wir zunächst über Enten. Wenn etwas klingt,
aussieht und schwimmt wie sie, liegt der Verdacht nahe, dass es sich dabei auch
um eine Ente handelt. So sagt es das Sprichwort, so einfach ist es bei Menschen
leider nicht immer. Da kann eine Sache der anderen ähnlich werden, und die
Leute reden doch ganz anders davon. Hier sprechen wir freundlich von Geklüngel
und dort mahnend von Clanstrukturen, der Taschendieb ist ein Krimineller (wenn
auch ein kleiner), der Millionenbetrüger aber oft nur ein Sünder (in
Steuerfragen), und bei der einen Familie steht etwas sofort im Verdacht, ein Ehrenmord
zu sein, was bei der anderen selbstverständlich als sogenanntes Ehedrama durchgeht. Sie
merken eventuell, worauf das hier hinausläuft.

Nämlich auf Elon Musk! Der
reichste Mann der Welt verbringt momentan sehr viel Zeit mit dem President-elect
der Vereinigten Staaten. Manch anderen aus dessen Umfeld beginnt
das bereits zu nerven
, und den verleitete das Gekumpel des
Günstlings zu
dem schönen Kofferwort „Broligarchy“
, also einem Mix aus Oligarchie, der Herrschaft weniger Reicher, und dem Slangwort „Bro“ für Bruder. Die Frage
ist nur: Warum braucht es ein lustiges Zwitterwort, wenn die Vorgänge doch so
unlustig wie eindeutig sind? Bei Elon Musk leitet sich die neue politische
Macht allein aus seinem Reichtum ab. Er ist ein Milliardär, der zum eigenen
Vorteil mitregieren will. Nennen wir ihn
doch einfach Oligarch! Er klingt wie einer, er handelt wie einer, er redet wie
einer. Oder gibt es tatsächlich Gründe, es nicht zu tun?

Wenn man die Dinge so redlich und
historisch-kritisch angeht, wie Musk es selbst mutmaßlich nie tun würde, könnte
man noch Einwände finden: Die Oligarchie wurde von Platon einst als gesetzlose
Herrschaft der Reichen definiert, und so weit ist es in den USA sicher noch
nicht. Hinzu kommt: Im heutigen Sprachgebrauch ist uns der Oligarch vor allem
als osteuropäischer Superreicher bekannt,
mit direktem Draht zu den Regierenden in seinem Land. Meist haben er und seine
Familie ihr Vermögen in der Zeit der wirtschaftlichen Öffnung unmittelbar nach
1990 gemacht. Sie haben sich beispielsweise die Rohstoffe gekrallt und dabei ihre
Nähe auch zu den alten Funktionären in der KPdSU oder Komsomol ausgenutzt, wenn sie
nicht gar selbst welche waren.

Die Oligarchen haben also teils
autoritäre Herrschaftssysteme mit aufgebaut, während Elon Musk nur versucht,
sich an einer defizitären Demokratie zu bereichern. Die Oligarchen haben ihr
Geld still und heimlich mit der Aneignung profitabler Zweige der Schwer- und
Rohstoffindustrie gemacht, während Elon Musk lautstark in der Techbranche immer
reicher wurde. Zuletzt: Die russischen Oligarchen kommen aus einer Sphäre, wo
es ihresgleichen zuvor nicht gab, es brauchte ein neues Wort für sie. Musk könnte
man auch einen Tycoon oder Magnaten nennen, denn in den USA hat es immer Superreiche
gegeben, die ihr Geld als politischen Einfluss geltend machten.

Was also ist bei Musk nun anders,
warum sollten wir ihn Oligarch nennen?

Da ist zum einen das Ausmaß der
Verbandelung von Musk und Trump. SpaceX, autonome Fahrzeuge: Musk
plant mit Trump, und Trump plant mit Musk
existenziell. Der Unternehmer
braucht den Präsidenten nicht nur in guter US-Tradition für die
Rahmenbedingungen, also laxe Regulierung und niedrige Steuern. Er braucht
Trumps Staat als Finanzier und gewogenen Gesetzgeber. Und der kann auch gut gebrauchen, was Musk bietet, vor allem anderen vielleicht dessen Raumschiffe für die Aura einer großen
Präsidentschaft.

Geschäfte zum eigenen Vorteil

Musk ist also abhängig von Trumps
Herrschaft und der wiederum – wenn auch weniger – von Musks Geld und Einfluss.
Politik wird, den Eindruck vermitteln sie, künftig nicht mehr in Parlamenten
gemacht, sondern in Konferenzräumen, in denen politische Akteure und
Businessmen unmittelbar und zum eigenen Vorteil ins Geschäft kommen. Ja, die
Trump-Gang pinselt dieses Szenario einer autoritären Oligarchie selbst mit
derart grellen Farben an die Wand, dass es fahrlässig wäre, ihnen die Pläne
nicht zu glauben. Man muss davon ausgehen, dass das alles nur noch bis zu
Trumps Inauguration hypothetisch bleibt. Nennen wir Musk also vielleicht: Oligarch-elect.

Oder wir lassen die Spielchen,
die auch nur helfen, die Ungleichheit auf dieser Welt sprachlich zu zementieren:
Wenn wir Länder des Westens immer nur im „Als ob“-Modus mit jenen eindeutig
abwertend gemeinten Begriffen belegen, die wir für andere Weltgegenden aber
jederzeit locker aus dem Ärmel schütteln, halten wir uns für etwas kategorisch Besseres. Wo etwas nur „wie in einer Bananenrepublik“ ist, befindet man sich
noch nicht in einer. Man hebt sich also selbst mit dem Vergleich. Ganz ähnlich
ist es mit allen Varianten von „Oligarchie“ wie der Broligarchy: Man
signalisiert Ähnlichkeit, aber die Variation zeigt zugleich: Um das Gleiche
kann es sich keinesfalls handeln, wir reden hier schließlich von den USA
und nicht von Russland!

Der antihaftbeschichtete Westen

Es ist ein schmaler Grat, Begriffe
zu übernehmen: Faschismus, Machtergreifung, Oligarch. Auf der einen Seite steht
die Gefahr, sprachlich inakkurat zu werden durch falsche Bezugnahmen auf andere
Weltgegenden oder andere Zeiten. Auf der anderen Seite steht die Gefahr,
auszublenden, dass es mit der Sonderstellung des Westens seit 1945 schnell
vorbei sein kann. Wenn man immer so tut, als gälten für ihn andere Regeln, als
sei er in gewisser Weise antihaftbeschichtet gegen den Schmutz der
Vergangenheit und heutiger Schwellenländer, verpasst man den Zeitpunkt, wo
diese Beschichtung Macken bekommt.

In diesem Zwiespalt tendieren wir
tendenziell zur Überakkuratesse und bestehen darauf, dass diese oder jene Bezugnahme doch nicht ganz
passt – sei es nun auf Putins Russland oder die späten Tage der Weimarer
Republik. Dabei verpassen wir aber unter Umständen, dass alles sogar noch viel
schlimmer ist und Elon Musks Machtkonzentration mit Autos, Raumfahrt und dem
negativen Diskurstaktgeber X viel umfassender und weltweit folgenreicher ist
als die postsowjetischen Rohstoff-Mafiosi und Alfred Hugenberg zusammen.

Darum nennen wir ihn also weder
Techmilliardär noch – eh viel zu harmlos – Medienmogul, nennen wir ihn nicht
Unternehmer oder Trump-Berater. Elon Musk ist maßgeblich am Aufbau eines
Systems beteiligt, in dem Macht und Geld im sehr kleinen Kreis und zum eigenen
Vorteil zirkulieren. Nennen wir ihn doch einfach Oligarch.

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