Diese Rede hat gesessen!

Feierlicher, spröder Festakt zu „35 Jahre Friedliche Revolution“ beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue. Man kennt das: Amtsfahne, Rednerpult, viele warme Worte und noch mehr graue Haare.

Und dann das: Der Schriftsteller Marko Martin (54, „Verdrängte Zeit“, „Es geschieht jetzt“) ist der Festredner. Und er liest der SPD, der deutschen Ost-Politik, Friedens-Predigern in Ost und West die Leviten – und schließlich auch sehr deutlich dem Hausherren Frank-Walter Steinmeier (68). Der muss für seine Zeit als Außenpolitiker kräftig einstecken.

Und reagiert nach Augenzeugenberichten anschließend heftig – rastet regelrecht aus!

Vorwurf: Geschichtsvergessenheit

Was war geschehen?

Festredner Martin prangert an, dass in Deutschland vergessen werde, „dass der erste Stein aus der Berliner Mauer einst auf der Lenin-Werft in Danzig geschlagen wurde“.

Gemeint: die Proteste der Polen und ihrer Freiheitsbewegung „Solidarnosc“ (Solidarität) – dem Beginn des Umbruchs im Ostblock, die Mutter der „Deutsche Einheit“.

Martin spannt den Bogen von SPD-Legende Egon Bahr Egon (†2015) zu Steinmeier, Gerhard „Gas-Gerd“ Schröder (80) und zum heutigen SPD-General-Sekretär Matthias Miersch (55).

Am Beispiel Bahrs macht Martin deutlich, wie die SPD für ein gutes Verhältnis zu Moskau die Bürgerbewegungen im Ostblock kalt abprallen ließ: Bahr habe 1982 Solidarnosc als „Gefahr für den Weltfrieden“ bezeichnet. Marin: „Eine wahnwitzige Infamie.“

„Säbelrasseln und Kriegsgeheul“

Und dann knöpft der Schriftsteller sich die heutigen Genossen vor:

▶︎ „Es scheint, dass die als Geo- und Realpolitik kaschierte Verachtung (…) noch heute fortwirkt. Schon wird Gerhard Schröder, nach wie vor reuelos großsprecherischer Duzfreund des Massenmörders im Kreml, vom neuen Generalsekretär der Kanzlerpartei garantiert, dass selbst für ihn weiterhin Platz sei in der deutschen Sozialdemokratie.“

Martin: „Dies übrigens zum gleichen Entsetzen der Osteuropäer und gestandener Sozialdemokraten, mit dem sie 2016 aus dem Mund des damaligen Außenministers hören mussten, die NATO-Manöver an der Ostflanke, um die dortigen Demokratien zu schützen, seien ‚Säbelrasseln und Kriegsgeheul‘.“

Der „ehemalige Außenminister“, von dem Martin spricht, sitzt vor ihm als Bundespräsident. Er spricht das deutsche Staatsoberhaupt direkt an:

Säbelrasseln und Kriegsgeheul? Sehr geehrter Herr Bundespräsident, und bei allem Respekt und ohne jede wohlfeile Polemik: Auch das Nord-Stream-Projekt, an dem SPD und CDU so elend lange gegen alle fundierte Kritik festhielten, war nur insofern ‚eine Brücke‘ – Ihre Worte noch vom Frühjahr 2022 – als dass es Putin in seinen Aggressionen zusätzlich ermutigte, und zwar in seinem Kalkül, dass die Deutschen, ansonsten Weltmeister im Moralisieren, das lukrative Geschäft schon nicht sausen lassen würden, Ukraine hin oder her.“

Mit „beträchtlicher Arroganz“ seien die hellsichtigen Warnungen aus Osteuropa überhört worden.

Für Steinmeier war das offenbar zu viel.

Marko Martin zu BILD: „Der Bundespräsident ist wutentbrannt auf mich zugestürmt, hat sich kaum beruhigen lassen. Er hat mir mehrfach wütend vorgeworfen, ihn zu diffamieren.“

Steinmeier, so Augenzeugen, sei auch von Umstehenden, wie Ex-Stasi-Unterlagen-Behörden-Chefin Marianne Birthler (76), nicht zu beruhigen gewesen. Schon während der Rede atmete Steinmeier schwer, kaute mit dem Kiefer, unterdrückte sichtbar seine Gefühle.

Steinmeier lässt Kritik nicht auf sich sitzen

Das Staatsoberhaupt habe hinterher sicht- und hörbar die Contenance verloren, dem Schriftsteller an den Kopf geknallt, er und „die Intellektuellen“ hätten keinen Schimmer davon, wie schwer der Job von Politikern sei, was er, Steinmeier, alles hinter den Kulissen versucht habe. Martin bestätigte dies gegenüber BILD.

Der Schriftsteller am Tag danach: „Ich habe ihn ja immer für einen kühlen Beamten-Automaten gehalten. Zumindest darin habe ich mich getäuscht.“

PS: Das Video von der Veranstaltung war über Stunden plötzlich nicht mehr auf dem Kanal des Bundespräsidenten abrufbar. Nach Nachfragen von Journalisten und einem Historiker hieß es am Abend, es habe Tonprobleme gegeben …