Militärisch gerät die Ukraine immer stärker unter Druck. Im Süden und Osten des Landes erobern die Russen immer mehr Ortschaften, zugleich kämpft die ukrainische Armee gegen den Mangel – nicht nur an Waffen, sondern auch an Personal. Wie der britische „Guardian“ berichtet, ist der Mangel inzwischen so gravierend, dass Soldaten aus den bereits dezimierten Luftabwehr-Einheiten als Infanteristen an die Front sollen.

Doch auch dort greift die Kriegsmüdigkeit um sich, Fahnenflucht ist an der Tagesordnung. Zugleich behandelt Kiew die Zahl der Gefallenen und Verwundeten als Staatsgeheimnis.

Hohe Verlust, zu wenig Ausrüstung

Wie schlecht steht es wirklich um Selenskyjs Armee?

► Nach drei Jahren Krieg sind viele Soldaten an der Front erschöpft, Berichte häufen sich über Massen-Desertionen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP sollen es inzwischen 100.000 Soldaten sein, die seit Kriegsbeginn wegen Fahnenflucht angeklagt worden sind.

► Auch über die Höhe der Verluste existieren nur Schätzungen – eine der letzten soll von einer unter Verschluss gehaltenen Quelle in der Ukraine selbst stammen und wurde vom „Wall Street Journal“ veröffentlicht. Demnach starben seit Beginn des Krieges 80.000 ukrainische Soldaten, 400.000 gelten nach einer Verletzung als kampfunfähig.

► UND: Es fehlt an ausgebildeten Soldaten, die nachrücken können. Dem „Guardian“ sagte ein ukrainischer Offizier der 114. Brigade der Territorialen Verteidigungskräfte, die Nachrückenden seien schlecht ausgebildet und ausgerüstet – manche könnten kaum eine Waffe halten. Erst vor kurzem seien 90 neue Soldaten angekommen. „Nur 24 waren bereit, ihre Positionen zu übernehmen. Der Rest sind alte, kranke oder Alkoholiker.“

Darum schont Selenskyj die Jungen

Präsident Wolodymyr Selenskyj bringt das in ein Dilemma. Washington soll ihn aufgefordert haben, das Mindestalter für Rekruten von 25 auf 18 Jahre herabzusetzen. Doch das träfe die Ukraine an einem wunden Punkt: Denn die Generation der 18- bis 25-Jährigen ist im Vergleich zu älteren Generationen ohnehin sehr klein.

Der Grund: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der darauf folgenden Wirtschaftskrise nahm die Geburtenrate dramatisch ab. Eine ganze Generation an jungen Männern könnte in Putins Krieg ausgelöscht werden.

▶︎ Der Militärexperte Christian Mölling (51) warnt in BILD: „Wenn Sie jetzt die Jüngsten an die Front schicken, dann bedeutet das, dass Sie die Zukunft des Landes als nationale Gemeinschaft auflösen. Selenskyj hat bisher gesagt, dass er das nicht will..“

Doch hat er überhaupt noch eine Wahl?

Aufgrund des Personalmangels an der Front hatte der Präsident das Mindestalter für Rekruten im April bereits von 27 auf 25 absenken müssen.

Auf den Druck aus Washington reagieren viele Ukrainer deshalb genervt. DENN: Die Ukraine hatte wegen des Zögerns des Westens die lange fehlende Ausrüstung mit gut ausgebildeten Soldaten ausgleichen müssen. Das rächt sich nun.

„18-Jährige sind noch Kinder“, sagt ein Soldat der 114. Brigade dem „Guardian“. „Vielleicht könnten sie das Mindestalter für Rekruten auf 23 herabsetzen, aber es gibt auch jetzt noch genug Leute in Kiew, die kämpfen könnten – aber sie wollen einfach nicht.“