Musik der höchsten Ekstase

An der Geschichte des übermäßig talentierten, glamourösen und fragilen Musikers D’Angelo kann man die ganze Ekstase und den Kater der wichtigsten Kunstformen des 20. Jahrhunderts erzählen: der Popmusik und dem, was ihr zugrunde liegt – der Black Music. Auf seinen drei Alben (1995), (2000) und (2014) erkennt man ihre Versprechen und Fallen, an den Reaktionen darauf auch alle Sehnsüchte, die Hörerinnen und Hörer damit verbinden. D’Angelo wurde bei seinen seltenen Konzerten tatsächlich wie ein Messias verehrt, weil brennende Musikalität und jubilierender Schmerz aus seinen Songs sprachen – Dinge, die anderswo längst aus dem ramponierten, hyperkapitalisierten Pop verschwunden waren.

Auf Social Media erzählen die Bekehrten nun von den Konzerten. Sie hatten, etwa auf D’Angelos letzter Deutschlandtour im Frühjahr 2015, etwas erlebt, was das Geschäft nur noch selten bietet: Spiritualität in der Musik statt Spektakel. Man nannte das Neo-Soul, eine neue Form der Soulmusik, was nicht falsch war, aber auch nicht ganz richtig. D’Angelo war zu komplex und zu groß für das kleine Kompositum Neo-Soul, wie auch einige seiner Weggefährtinnen, Erykah Badu etwa oder Mos Def, die ebenfalls unter dem Begriff gefasst wurden. Neu war aber wirklich, dass D’Angelo und andere Neo-Soul-Musiker nichts von den engen Genrekonventionen hielten, die Mitte der Neunzigerjahre vor allem im Formatradio noch durchgesetzt wurden.

Wie ist es zu erklären, dass gerade einmal drei Alben in 30 Jahren genügten für die riesige Wertschätzung, die Michael Eugene Archer schon vor seinem Tod mit 51 Jahren entgegengebracht wurde? D’Angelo produzierte die unvergesslichen Bilder, um die es in der Popmusik immer schon ging, und er war auch ein Künstler, dessen Black Music von Rassismus und Selbstbehauptung handelte. Seine Superpower jedoch war, scheinbar ganz einfach, die Musik.

Das Spiel mit dem niedrigen Tempo hat D’Angelo natürlich nicht erfunden. Er trieb es aber doch sehr bunt mit der Langsamkeit. Die verführerische Ballade gehört zum Repertoire jedes R-’n‘-B-Musikers, der etwas auf sich hält. Bei D’Angelo konnte man die gedrosselten Erzählungen jedoch gar nicht mehr Balladen nennen. Der Song von seinem Debütalbum klingt wie Funk auf Fentanyl, trotz des chirurgisch präzisen Zusammenspiels der Musiker; auch D’Angelos Gesang klingt nach einem Mann, der weiß, was es heißt, in den Seilen zu hängen. Das wirklich langsame vom Album ist ein siebenminütiges Lehrstück darüber, wie viel auch Musik der höchsten Ekstase mit Kontrolle zu tun hat, mit hinausgezögerter Wirkung – mit einem Versprechen eben. Klingt einfach, ist aber verbunden mit dem großen Risiko, die Leute zu langweilen. Gut langsam spielen: Das können wirklich nur die Besten.

Die Fußstapfen, in die D’Angelo damit trat, sind auf den ersten Blick groß und klar: Sie gehören Prince. Man hörte das zunächst einmal in der Stimme, besonders wenn D’Angelo ins Falsett stieg. Wie Prince war aber auch er ein in der klassischen Black Music nicht seltener Multiinstrumentalist, er spielte Bass, Schlagzeug, E-Piano und im Lauf seiner Karriere, während der R ’n‘ B zunehmend elektronisch geprägt wurde, auch immer häufiger Gitarre. Dafür gab es nicht zuletzt einen politischen Grund. Wer viel selbst spielte auf seinen Alben, behielt gegenüber seiner Plattenfirma auch mehr Kontrolle über die Musik.

Dennoch hat der Prince-Vergleich Grenzen. D’Angelo war viel mehr an Zusammenarbeit interessiert, im Studio wie auf der Bühne. Ohne den Sänger, Songwriter und Produzenten Raphael Saadiq wären und gar nicht denkbar. Im neuen Jahrtausend stand D’Angelo dann vor allem Ahmir „Questlove“ Thompson zur Seite, der Drummer der Hip-Hop-Band The Roots. Wie Saadiq ist Thompson Teil eines Schwarzen Popadels, der sich im klassischen Sinn verschrieben hat. Offen soll die Musik klingen, nah am Liveerlebnis, wie beim Gospel in der Kirche.

Was ist ein Schwarzes Genie in den USA?

Bedenkt man das, scheint sich ein anderer Bezugspunkt neben Prince noch stärker aufzudrängen: D’Angelo schloss auch an die Musik des ebenfalls dieses Jahr verstorbenen Sly Stone an, jenes großen Avantgardisten der Black Music im Mainstream der späten Sechziger- und der Siebzigerjahre. Er lieferte die Blaupause für Prince, und er tat es genauso für D’Angelo – was leider auch für die Tragik im Leben der drei Künstler gilt. Stone hatte zeit seines Lebens Drogenprobleme, Prince starb an einer Fentanyl-Überdosis, und D’Angelo litt vor allem in den Jahren zwischen und unter Alkohol- und Drogensucht. Es gibt solche Biografien immer wieder in der Popmusik, vor allem Schwarze Künstler aber haben es schwer damit, sich aus der Rolle des kaputten Entertainers wieder herauszukämpfen. Publikum und Musikindustrie blicken gebannt auf ihre Abstürze. Künstlerische Erneuerung gesteht man dann aber lieber David Bowie zu.

Das notorische Nacktvideo zu hat D’Angelo zu stark als Sexsymbol definiert. Der phänomenale Musiker litt darunter, dass seine Plattenfirma das Album vor allem darüber vermarktete. Heute wirkt der Clip trotz D’Angelos Schönheit und des sensationellen Songs in seinem Voyeurismus und der Fetischisierung des Schwarzen Körpers mindestens ambivalent. Auf den ökonomisch gewinnbringenden Hedonismus folgte, wie bei Sly Stone, erst die Erschöpfung des Künstlers und dann die Enttäuschung des Publikums.

D’Angelo antwortete ihr anderthalb Jahrzehnte nach mit der Politisierung von . Das Album klang nicht weniger sinnlich als seine Vorgänger, erschien jedoch stark geprägt durch Vorfälle rassistischer Polizeigewalt in den USA Mitte der Zehnerjahre und die daraus resultierenden Black-Lives-Matter-Proteste. D’Angelo zog sogar die Veröffentlichung von vor, um seiner Solidarität mit der Bewegung Ausdruck zu verleihen – nachdem er in den Jahren zuvor zahllose geplante Release-Termine hatte verstreichen lassen.

Im Frühjahr dieses Jahres sah man D’Angelo als einen von vielen hochkarätigen Interviewpartnern im Dokumentarfilm , gedreht von Ahmir Thompson. Was denn eigentlich der Begriff in den USA bedeute, fragt dieser D’Angelo, woraufhin der Musiker ungläubig, aber doch ultracool dreinblickte. Kurz und fast verächtlich lachte D’Angelo dann, als habe er sagen wollen: Sieh mich doch an, warum fragst du so einen Scheiß?

Am 14. Oktober ist D’Angelo nun in New York City an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben, bekannt gemacht hatte er seine Erkrankung vorher nicht. Bekannt ist aber, dass er wieder im Studio war, gemeinsam mit Raphael Saadiq. Ein viertes Album, teilten Angehörige mit, solle posthum erscheinen. Wie lange man darauf wird warten müssen, ist unklar.

Mehr lesen
by Author
Man malt sich schon wieder den Charakter des nächsten Migrationsstreits aus: schematisch,…