Der Thriller von Will Dean hätte auch unserem Vater gefallen. Weil er an einem sehr besonderen Ort spielt, einem Ort nämlich, an dem die Polizei nicht arbeiten kann: Der Gerichtsmediziner kann die Leiche nicht untersuchen, die Spurensicherung kann keine Gegenstände einpinseln, Verdächtige können nicht verhört, geschweige denn verhaftet werden.
Aber bevor wir mehr über das Buch sagen, müssen wir von unserem Vater sprechen. Er war Journalist, und er schrieb Romane – und er war eigentlich immer auf der Spur einer wirklich guten Geschichte. Deshalb gingen bei uns zu Hause merkwürdige Menschen ein und aus. Da war ein britischer Historiker, der später ins Gefängnis kam. Da war ein russischer KGB-Agent, der seinen eigenen Wodka mitbrachte. Es gab eine Heiratsschwindlerin, einen pensionierten Kommissar und eine angebliche Königin des internationalen Kaffeegeschäftes. Viele schillernde Menschen, denen das Wort Seriosität nicht so viel bedeutete. Wir Brüder waren damals Kinder, und wir mochten diese Besucher. Langweilig war nie einer. Die Hauptfigur des Thrillers (Hoffmann und Campe), eine sogenannte Sättigungstaucherin, die in großer Meerestiefe unter ungeheuren Druckverhältnissen arbeitet, hätte auch bei uns im Wohnzimmer sitzen können.
Wenn Norbert Lebert, unser Vater, nicht als Journalist schrieb, sondern als Romanautor, tat er das unter anderen Namen. Eines seiner Pseudonyme lautete Landorff. Als wir Brüder, Andreas und Stephan, anfingen, zusammen Krimis zu schreiben, war sofort klar, unter welchem Namen wir dies tun würden. Fünf Thriller haben wir als Max Landorff geschrieben. Unser Vater hat das Erscheinen der Bücher nicht mehr erlebt, aber er wäre stolz gewesen, zumindest auf das Pseudonym. Wenn wir jetzt als Max Landorff eine Krimikolumne beginnen, haben wir uns vorgenommen, immer auch ein bisschen im Sinne unseres Vaters zu denken und zu urteilen. Milieus müssen stimmen, das war ihm zum Beispiel sehr wichtig. Wie reden Polizisten miteinander? Angestellte einer Werbeagentur? Schüler am Gymnasium? Klempner? Menschen im Treppenhaus eines Mietshauses? Es kam oft vor, dass wir als Kinder im Fernsehen einen Krimi nicht zu Ende schauen durften, weil unser Vater fand, dass die Dialoge nicht stimmten.
Sättigungstaucher reparieren am Meeresboden Kabelknoten, Befestigungen von Bohrinseln oder Ölpipelines. Für solche Aufträge wird ein Team oft wochenlang in einer Druckkammer eingeschlossen, wo es zu Beginn tagelang an den Druck gewöhnt wird und am Ende noch langsamer wieder davon entwöhnt wird. Wenn hier ein Verbrechen geschieht, kann niemand raus oder rein, sein Körper würde je nachdem entweder explodieren oder zusammengequetscht werden. Der britische Autor führt uns in seinem Thriller in eine Welt, von der wir keine Ahnung haben. Schon ohne Mord ist ein von ihm beschriebener Tiefseetauchgang ungeheuer spannend, auch ohne Verbrechen interessiert einen die Mentalität der Menschen, die dieses Risiko immer wieder auf sich nehmen. Dean muss gut recherchiert haben, man spürt beim Lesen, wie lang eine Minute sein kann in einer sehr engen Druckkammer, wo einer der sechs Menschen plötzlich tot ist – die Dekompression aber vier Tage dauert.