Es ist Tag eins nach dem großen Knall. Tausende Beschäftigte von Volkswagen drängten am Mittwoch zur Betriebsversammlung im Wolfsburger Stammwerk. Die Fronten sind nun klar: Der Konzern schließt Werkschließungen nicht aus und will die bis 2029 geltende Beschäftigungsgarantie aufkündigen. Die IG Metall und der mächtige Betriebsrat hingegen haben klargemacht: Beides sei mit ihnen nicht zu machen.
Ob es Zufall ist, dass die Sparankündigung von VW genau in dieser Woche publik wurde, darüber kann nur gemutmaßt werden. Auffällig ist es aber schon: Ausgerechnet zum Auftakt der Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie kommt es beim größten deutschen Autobauer zur Zäsur: Erstmals seit Jahrzehnten drohen Werke geschlossen zu werden.
Angesichts des mittelschweren Bebens, das die Pläne auslösten, wirkt Christiane Benner erstaunlich gut gelaunt. „Ich finde das hier richtig gut: Wir starten in diese Tarifrunde mit einer tollen Auftaktveranstaltung – entschlossen und solidarisch.“
Die Chefin der IG Metall hat zur Pressekonferenz geladen. Der Termin steht schon länger fest, eigentlich soll es um die Industrie als Ganzes gehen: Sieben Prozent mehr Lohn sowie 170 Euro mehr Ausbildungsvergütung, so die Forderung.
Doch schnell wird klar: Hauptthema ist Volkswagen. Dort gilt ein Haustarifvertrag, die Forderung ist aber dieselbe – und wird auch angesichts der Sparpläne aufrechterhalten. Benner ist seit rund einem Jahr Chefin der wohl mächtigsten Gewerkschaft des Landes mit 2,1 Millionen Mitgliedern. Ihr Vorgänger Jörg Hofmann ist zwar nicht mehr im Amt, sitzt aber weiterhin im VW-Aufsichtsrat – Benner hingegen ist im Gremium nicht vertreten.
Zu ihrem Start im vergangenen Herbst wurde die gebürtige Aachenerin frenetisch auf dem Gewerkschaftskongress empfangen. Auch aus der Wirtschaft kam überwiegend Lob. Nun aber muss Benner liefern. Die Tarifrunde werde ihre erste große Bewährungsprobe, heißt es aus Kreisen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Denn die erfolgsverwöhnten Metaller sind deutliche Lohnsteigerungen gewohnt. Nicht nur bei VW, sondern über die Autobranche hinweg, sind Bezahlung und Konditionen hochattraktiv.
Benner macht zur Tarifrunde deshalb klar: „Wir brauchen mehr Geld.“ Das zeige sich im Alltag der Beschäftigten mit Blick auf die gestiegenen Preise. Die Forderung sei „mit Augenmaß“ erarbeitet worden. „Die Aufschwung-Hoffnung für den Herbst hat sich auf den steigenden Konsum gestützt“, so Benner. Der bleibe aber aus, weil es eine „massive Verunsicherung“ gebe.
IG Metall droht mit Warnstreiks bei VW
Verbraucher würden nicht mehr investieren, daher sei die Tarifpolitik ein Beitrag gegen diese Negativentwicklung. „Wir wollen, dass Deutschland ein erfolgreiches Industrieland bleibt. Wir wollen auch, dass Arbeitgeber sich zum Standort bekennen. Und wir erwarten von der Politik, dass sie mit Vollgas investiert“, betont die Gewerkschaftschefin.
Neben Benner auf der Bühne sitzt Thorsten Gröger. Der IG Metall-Bezirksleiter für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt verhandelt für die Arbeitnehmerseite. „Die Arbeitgeber dürfen uns keine lange Hängepartie zumuten“, so Gröger.
Bis zum Ende der Friedenspflicht am 28. Oktober sollte ein Angebot vorliegen. „Ich sage ganz deutlich: Wenn das nicht der Fall ist, sind ab 00:01 Uhr Warnstreiks möglich.“ Das Management müsse aufwachen. „Im Zweifel werden wir mit zehntausenden Kollegen helfen, dass sie wieder auf den richtigen Weg finden.“
Am Tag zuvor stand Gröger mit zerknirschter Miene vor den Werkstoren bei VW in Wolfsburg, neben ihm Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Die halbe Welt blickte auf die Betriebsversammlung, bei der es zu gellenden Pfeifkonzerten kam.
Gröger und Cavallo beantworteten bei sengender Hitze Fragen der Journalisten; Kamerateams aus Südkorea und Katar waren angereist. Cavallo hat dabei klargemacht: Schließungen und Kündigungen wird es mit ihr als Betriebsratschefin nicht geben – und Benner schließt sich dieser Forderung an.
Der Austausch sei eng, sagt die studierte Soziologin. „Wir whatsappen jeden Tag.“ Und ähnlich wie Cavallo sieht Benner das Hauptproblem bei VW nicht etwa im nahenden Verbrenner-Aus im Jahr 2035, sondern in Fehlern des Managements. „Die Lage ist dramatisch. Die Arbeitgeber drohen mit Kettensäge und Bulldozer gleichzeitig.“
Die Rede ist von „Fehlentscheidungen über Jahre“. Als Beispiel nennt die IG-Metall-Chefin die geplante Beteiligung am amerikanischen E-Autohersteller Rivian. Das Gesamtvolumen des Deals soll sich auf fünf Milliarden Euro belaufen. „Die ganzen Maßnahmen jetzt sollen gemacht werden, damit Rivian gekauft werden kann“, meint Benner.
Verunsicherung sei aber ein schlechter Ratgeber. „VW war in der Vergangenheit auch in schwierigen Situationen“, sagt Benner, die im Conti-Aufsichtsrat sitzt. Mit einem „Innovations-Tarifvertrag“ sei der Konzern aber wieder in eine gute Richtung gebracht worden – die Sozialpartnerschaft habe sich bewährt. Eine Option sei nun die Vier-Tage-Woche. „Wir sollten nichts unversucht lassen, um die Beschäftigung zu erhalten“, so Benner mit Blick auf eine mögliche Arbeitszeitverkürzung. Tatsächlich gab es eine Vier-Tage-Woche bei VW schon einmal: Anfang der Neunzigerjahre, um den Abbau von Stellen zu verhindern. Einen Lohnausgleich jedoch gab es nicht.
Auffällig bei der Pressekonferenz: Von der seit Jahren rückläufigen Nachfrage nach Volkswagen-Autos und der dadurch geringeren Auslastung in den Werken ist kaum die Rede. Auch das Wort Politik fällt im Eingangs-Statement von Benner nur an einer Stelle: Als sie sagt, man sei sich mit den Arbeitgebern einig – die Politik müsse mehr investieren und endlich für schnelle Genehmigungsverfahren sorgen.
Auch auf Nachfrage von WELT geht Benner nicht direkt auf das bevorstehende Verbrenner-Verbot ein. Jedoch habe man die Politik durchaus im Blick, sagt Benner. „Wir müssen die Mobilitätswende massiv beschleunigen – das ist die Forderung an die Politik.“ Wichtig, gerade bei VW, sei, dass E-Autos für normale Verbraucher erschwinglich würden. „Das fordert die Gewerkschaft schon lange.“
Konkret sei ein Rahmen von 25.000 Euro Neupreis sinnvoll. Zudem sei die Krise bei VW auch „eine Folge der Verunsicherung durch die politischen Rahmenbedingungen“. Es müsse mehr dafür getan werden, dass deutsche Hersteller wieder wettbewerbsfähiger werden, so Benner. „Wir haben da nicht die Entwicklung, die wir uns wünschen.“
Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.